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Die fabelhafte Welt der Amélie


Szene Szene Szene Szene Szenen

Ein Film, der zum Träumen verführt

Interview mit dem Regisseur Jean-Pierre Jeunet


Wie fühlten Sie sich nach Alien - Die Wiedergeburt und wie sind Sie danach auf einen Film wie Die Fabelhafte Welt der Amélie gekommen?

Ich erinnere mich nur noch, dass ich nach Alien große Lust hatte, nach Frankreich zurückzukehren, um einen "kleinen" Film mit meinen Freunden zu machen! Denn Alien war zwar ein herrliches Abenteuer, aber auch sehr anstrengend...

In Wirklichkeit hatte ich, als die Fox mir den Film vorschlug, bereits an einem Projekt zu arbeiten begonnen, aus dem dann Die Fabelhafte Welt der Amélie entstanden ist. Ich hatte bereits jede Menge Ideen, Szenen, Situationen und Figuren, aber es fiel mir schwer, das alles in die richtige Ordnung zu bringen. Ich hatte schlicht und einfach das Thema meines Films noch nicht gefunden. An dem Punkt war ich, als ich nach Hollywood aufgebrochen bin, und als ich zurückkam, habe ich mein Projekt da wieder aufgenommen, wo ich es unterbrochen hatte.

Und in diesem Moment fiel es Ihnen dann leicht, das Sujet des Films zu finden?

Nein, nicht sofort. Aus dem ganzen Material, das ich zusammengetragen hatte, hätte man vier oder fünf Filme machen können, aber nicht einen einzelnen! Doch als ich lange genug über all diesen Ideen gebrütet hatte, war mir eines schönen Tages plötzlich alles völlig klar: Der gemeinsame Nenner, die Figur, um die alles kreist, war dieses Mädchen, das beschließt, das Leben der anderen zu ändern... Nachdem ich das herausgefunden hatte, ergab sich der Rest quasi wie von selbst, und ich konnte mich hinsetzen und mit Guillaume Laurant das Drehbuch ausarbeiten.

Wie hat man sich Ihre Zusammenarbeit mit Guillaume Laurant vorzustellen?

Wir sind uns im Denken sehr stark verwandt, aber seine Qualitäten liegen vor allem im Dialog, während ich mehr in Bildern denke. Auch wenn die Text-Grundlage, von der wir ausgingen, von mir stammte, entwickelte sich, was die Ideen zu den einzelnen Szenen angeht, im Laufe der Arbeit zwischen uns ein regelrechtes Ping-Pong-Spiel. Es gibt in Die Fabehlhafte Welt der Amélie viele Einfälle, die unmittelbar von ihm stammen. Wie zum Beispiel die Stelle mit dem Souffleur auf der Straße.

Die Figuren in Ihrem Film zeigen eine auffällige Sammelleidenschaft ...

Ich bin selbst ein großer Liebhaber von Listen und Sammlungen. Ich sammle zum Beispiel Ideen dazu, was man alles sammeln könnte. Und einiges davon ist in den Film eingeflossen: Ninos Sammlung von Fußabdrücken im Zement oder seine Leidenschaft für Fotos, die er an Fotoautomaten aufliest...

Ich hatte lange Zeit eine Dose, in der ich das Ende von Geschichten und alle möglichen anderen Ideen gesammelt habe. Das tue ich heute auch immer noch, aber ich bin inzwischen rationeller geworden und ordne diese Ideen und Listen mit Hilfe meines Computers.

Die Art und Weise, wie Sie die Figuren des Films einführen, diese Aufzählung ihrer Vorlieben und Abneigungen erinnert stark an Ihren Kurzfilm Foutaises...

Ja, das ist auch ganz typisch für mich. Ich habe endlos lange Listen darüber, was ich mag und was ich nicht mag. Aber davon die passenden für den Film auszuwählen, war enorm schwierig, denn diese Vorlieben und Abneigungen müssen einerseits sehr persönlich sein und zu der jeweiligen Figur passen, aber andererseits doch auch jedermann berühren, jedem Zuschauer etwas sagen. Außerdem müssen sie auch noch optisch zu illustrieren sein ...

Wussten Sie von Anfang an, wie Ihre Titelheldin heißen sollte?

Nein, ihr Name ist im Laufe der Arbeit entstanden. Während ich schreibe, stelle ich mir gern einen bestimmten Schauspieler für die Rolle vor. Also habe ich auch hier nach einem Vorbild für die Rolle gesucht und mir gesagt:

Es könnte so eine Figur sein, wie Emily Watson sie in Breaking the Waves spielt. Sie hat eine ähnliche Mischung aus Naivität und Entschlossenheit. Anfangs war das nur so ein Gedankenspiel, einfach um besser arbeiten zu können. Wir haben beim Schreiben an Emily Watson gedacht und unsere Figur daher Emily getauft. Aber nachher habe ich mir gesagt: "Wieso eigentlich nicht?" - zumal ich in einem Interview gelesen hatte, dass sie gerne mit mir arbeiten würde.

Also habe ich Emily Watson angerufen. Wir haben uns getroffen, und ihr gefiel das Drehbuch sehr. Wir haben uns dann noch mehrmals gesehen, und wir haben Probeaufnahmen gemacht, auf Französisch. Aber ich begriff, dass sie dabei 50 Prozent ihres Könnens einbüßt, und deshalb habe ich eine neue Version geschrieben, in der die Geschichte in England ihren Ausgang nahm. Die Hauptfigur wuchs da drüben auf und kam dann nach Montmartre...

Emily Watson war eigentlich mit allem einverstanden, aber eines Tages klingelte bei mir zu Hause plötzlich das Telefon, und sie teilte mir mit, dass sie den Film aus persönlichen Gründen lieber nicht machen würde. Sie wollte nicht sechs Monate lang von zu Hause wegbleiben, das war ihr zu lang.

Also sind wir zum Ausgangspunkt zurückgekehrt und haben wieder das Drehbuch hervorgeholt, das ganz in Frankreich spielte. Aber der Name ist geblieben. Nur dass aus Emily Amélie geworden ist. Ich habe angefangen, mich nach einer neuen Hauptdarstellerin umzusehen, bis mir eines Tages auf einem Filmplakat ein junges Mädchen mit großen dunklen Augen aufgefallen ist: Das war Audrey Tautou auf dem Plakat von Schöne Venus. Ich habe Kontakt zu ihr aufgenommen, wir haben Probeaufnahmen gemacht, und nach zehn Sekunden wusste ich, dass sie die Richtige war.

Worin besteht Ihrer Meinung nach Audrey Tautous größte Qualität?

Mir ihr zu arbeiten, ist die reinste Freude. Sie spielt nicht einfach nur sich selbst, sondern sie versteht es, eine Figur sorgsam zu komponieren, was in Frankreich selten genug ist. Außerdem hat sie ein unglaubliches Gespür für das richtige Timing. Dabei ist sie erst 23 Jahre alt!

Verlief der Rest des Castings auch so reibungslos? Haben Sie beispielsweise auch sofort an Mathieu Kassovitz für die Rolle des liebenswerten Nino gedacht?

Ja, ziemlich bald. Gute junge Schauspieler sind Mangelware in Frankreich, und Mathieu ist nicht nur ein hervorragender Schauspieler mit einem umwerfenden Charme, sondern er hat auch noch einen unglaublichen Trumpf in der Hand: Die Kamera liebt ihn. Wir verstehen uns sehr gut, und da er auch noch ein sehr guter Regisseur ist, diskutieren wir auch häufig übers Filmemachen.

In der Besetzungsliste von Die Fabelhafte Welt der Amélie findet man auch einige Schauspieler, die man fast schon als Stammgäste in Ihren Filmen bezeichnen könnte: Dominique Pinon, Rufus, Serge Merlin...

Es wäre undenkbar für mich gewesen, einen Film ohne Dominique zu drehen. Anfangs, als es noch keine Rolle in Die Fabelhafte Welt der Amélie gab, die groß genug für ihn gewesen wäre, wollte ich ihm einen kleinen augenzwinkernden Mini-Auftritt vorschlagen, aber er hat es vorgezogen, den krankhaft Eifersüchtigen in dem Café zu spielen. Und mit seinem Zutun ist eine tolle Figur daraus geworden. Was er daraus gemacht hat, hat mich ehrlich verblüfft.

Dass Rufus die perfekte Besetzung für Amélies Vater sein würde, war mir sofort klar. Ich hatte ihn in einer Theater-Aufführung gesehen, wo er auf alt geschminkt war, um Freud zu spielen, und ich fand ihn einfach großartig in dieser Rolle. Außerdem war das ja auch beinahe so, als hätte er schon monatelang für die Rolle des Vaters geprobt!

Das war das erste Mal, dass Sie nicht im Studio gedreht haben. Warum?

Na, eines Tages musste ich es ja mal wagen! Außerdem bot sich das bei dieser Geschichte an, ich wollte Paris in den Mittelpunkt des Films stehen. Aber ich bin wie Kurosawa der Ansicht, dass jede Einstellung eines Films "wie ein Gemälde" sein soll. Ich kann einfach nicht anders, als meine Bilder durchzukomponieren. Ich habe mir aus den ganzen Ansichten von Paris diejenigen ausgesucht, die mir am besten gefielen. Und dann sind wir hingegangen und haben die Autos aus den Straßen entfernt, die Graffitis von den Mauern abgewaschen, die vorhandenen Plakate gegen farbenfrohere eingetauscht etc. Kurz: Ich habe versucht, dem Stadtbild soweit es ging meinen eigenen Stempel aufzudrücken. Und glücklicherweise haben wir den Film digital nachbearbeitet. So konnten wir bis zum letzten Moment Korrekturen vornehmen...

Hat sich Ihre Arbeitsweise dadurch verändert, dass Sie nicht im Studio gedreht haben?

Nein, nicht grundsätzlich. Aber was ich heute auf jeden Fall sagen kann - und zwar definitiv - ist, dass das zu den Dingen zählt, die ich nicht mag! (Lachen). Ich kann mich nicht daran gewöhnen, nicht alles unter Kontrolle zu haben. Bei Außenaufnahmen gibt es immer ein Auto, das da geparkt ist, wo es nicht stehen soll, es läuft immer irgendein Typ durchs Bild oder macht in der Nähe irgendwelchen Lärm. Irgendwas läuft immer anders, als man will. Und das macht mich wahnsinnig!

Für die Musik haben Sie Yann Tiersen gewonnen...

Ich hatte eigentlich bereits etwas anderes geplant, aber dann hat mich eines Tages eine Praktikantin mit dem Auto abgeholt und dabei eine Musik gespielt, die ich nicht kannte und die ich absolut großartig fand: Es war ein Stück von Yann Tiersen. Noch am selben Abend hatte ich alle seine Platten. Ich habe ihn getroffen, und wir hatten auf Anhieb einen sehr guten Draht zueinander. Er hat uns neunzehn Stücke in fünfzehn Tagen komponiert! Außerdem hat er uns erlaubt, uns aus allen seinen Platten das auszuwählen, was uns gefiel... Allerdings fiel gerade diese Auswahl besonders schwer, weil alle seine Stücke zu den Bildern des Films passten. Idealere Bedingungen hätten wir uns nicht erträumen können ...

Während der Dreharbeiten haben Sie gesagt, Amélie solle "die Menschen glücklich machen". Warum haben Sie neuerdings Lust, "die Menschen glücklich zu machen"?

Das hängt vielleicht mit meiner persönlichen Entwicklung zusammen. Mit 47 Jahren hat man nicht mehr unbedingt zu denselben Dingen Lust wie vorher. Ich hatte noch nie einen durch und durch optimistischen Film gemacht, und genau das hat mich interessiert. An diesem Punkt meines Lebens, meiner Wegstrecke, hatte ich Lust, einen Film zu machen, der leicht und beschwingt ist, der zum Träumen verführt und einfach Vergnügen bereitet...




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