
Die Musterknaben
Regie, Buch: Ralf Huettner
"Ich wollte keine Filme machen - ich wollte Bildhauer werden."
Daraus wurde jedoch nichts, weil Huettner an die HFF München
ging. Sein Abschlußfilm "Marylin" brachte ihm
erste Anerkennung. Bald darauf folgte der Kinofilm "Das Mädchen
mit den Feuerzeugen", ein realistisches Märchen unserer
Zeit.
Es geht das Gerücht, daß Ralf Huettner vor diesen
Debüts, neben einigen Drehbüchern, auch ein Kinderbuch
verfaßte und illustrierte. Dieses hat jedoch nie jemand
bisher gesehen - bis auf, vielleicht, Huettners Tochter Valerie.
Mit dem 1987 entstandenen Thriller "Der Fluch" vollzog
Huettner gleich eine 180 Grad-Wendung, mit der sich bereits andeutete,
was für Huettners gesamtes Schaffen - und mit ihm für
eine neue Generation deutscher Filmemacher - kennzeichnend sein
würde: der unbefangene Zugriff auf das Genrekino.
Während im deutschen Film oft genug das Thema im Zentrum
der Story stand, ist es in Huettners Filmen immer auch das (Kino-)
Genre selbst, das sein Recht an einer Geschichte einfordert.
Huettner lädt es mit unmittelbarer Gegenwart neu auf - Zeitgefühl,
Trends und Moden, zum Beispiel in der Musik, hat er schon zitiert
und benutzt, noch ehe sie vom Mainstream erkannt und vereinnahmt
wurden.
So auch in "Babylon - Im Bett mit dem Teufel", hier
greift Huettner - der Titel ist bezeichnend - noch tiefer ins
Genre. Heraus kommt ein lustvoller Mix aus Grusel und Erotik,
den ein Filmlexikon pikiert kommentiert: "Das hanebüchene
Drehbuch und die dümmlichen Dialoge machen einige gelungene
Bildfolgen vergessen." Die Gattung Pulp war offenbar noch nicht
ins Bewußtsein gedrungen, sonst wäre die Beurteilung
anders ausgefallen!
Mit "Babylon" ... endete zunächst der Ausflug ins
Thriller/Horror-Genre. Treu blieb sich Huettner aber auch mit
den nun folgenden Komödien, indem er vor allem auf Wirkung
setzte und auf zwei Exponenten des Komischen, die vom Publikum
geliebt und von der Kritik verstört beurteilt werden: Helge
Schneider, in der Western-(Genre!)-Parodie "Texas - Doc Snyder
hält die Welt in Atem" und Tom Gerhardt in "Voll
Normaaal." Beide Filme waren Hits an den Kinokassen, sind
es bis heute noch in den Videotheken und haben Kultstatus in
ihrer Fangemeinde.
In einer Mediengesellschaft ist der Komödiant der bessere
Politiker - oder umgekehrt der Politiker nur als Darsteller von
Politik erfolgreich. Nicht auf die Integrität der Inhalte,
sondern im Gegenteil auf deren "Maskierung" kommt es an. Diesen
Zusammenhang reflektiert Huettners Polit-Komödie "Der
Papagei" . Ein abgehalfterter Schauspieler, der in der Fußgängerzone
Küchengeräte verhökert, wird von einer Rechtspartei
unversehens als talentierte Politmarionette entdeckt und ausgenutzt.
Wer sollte die Geschichte eines Wahlkampfes - Showgeschäft
und Politik, Amt oder Absturz - besser "verkörpern" als
der populärste deutsche Schauspieler: Harald Juhnke.
Kino und Fernsehen gehen heute eine unbefangene Liaison ein.
So lag es nahe, daß sich Huettner auch mit dem Format der
Serie, bzw. des TV-Mehrteilers, beschäftigen würde.
"Um die 30" lautet der Titel der Serie - und neu in
diesem Format ist, daß Huettner und sein Co-Autor Dominic
Raacke ihr (Ziel-) Publikum gleich zum Thema machen. Trends,
Gefühle, Beziehungen handeln von Menschen, die `um die 30'
sind - und dies in einem Tempo und einer ästhetischen Brillanz,
die dem gehobenen Anspruch einer konsumfreudigen Generation gerecht
werden - Fernsehen in Kinoqualität.
Es ist kein Widerspruch, daß gerade in einer Singlegeneration
Themen wie "Kinder", " Karriereknick", " Familie" und " Freundschaft"
besonders gut ankommen. So konnte sich das ZDF mit "Um die
30" auch in dem klassischen Format "Vorabendserie" bei jüngeren
Zuschauern wieder zurückmelden. Für "Um die 30"
wurden Huettner und Raacke mit dem Deutschen Fernsehpreis, Telestar
96, für das beste Drehbuch ausgezeichnet.
Der Erfolg deutscher Beziehungs-Komödien und damit einer
jungen Generation selbstbewußter Regisseure, Autoren und
Schauspieler, überhaupt der Zulauf eines deutschen Publikums,
das Kino offenbar wieder um seiner selbst willen zu schätzen
und zu lieben begann, mußte auch Huettner zu einem neuen
Kinostoff reizen.
Typisch für Huettner: nicht auf den fahrenden Zug zu springen,
sondern wieder mit dem Genrekino zu spielen und einen Erotikthriller
anzubieten. "Der kalte Finger" zeigt vielleicht am deutlichsten
Huettners Qualität, die suggestiven Möglichkeiten eines
Genres mit den Erscheinungen des Zeitgefühls synergetisch
zu verbinden.
Der Thriller, der von erotischen Obsessionen handelt, zeigt (und
braucht) keine einzige Sexszene - Huettner setzt vielmehr auf
Phantasien, die bald keinen Spielraum mehr als physische Gewalt
lassen, Bilder, die in jede Pore eines Gesichtes einzudringen
scheinen, und die Musik der Techno-Generation.
Sven Väth und Stevie B-Zet, Wegbereiter und Großmeister
des Trance-Techno - Stars einer ganzen Techno-Generation, komponierten
erstmalig Filmmusik. Der Performance-Künstler Flatz spielte
den Killer und stattete ihn mit den Accessoires seiner Kunstwelten
aus. Die Hauptfigur spielte Gruschenka Stevens, in "Um die
30" noch in einer Nebenrolle besetzt.
Die Kritik und die Filmbranche waren fast einhellig begeistert
- an der Kasse bestätigte sich jedoch leider auch das Vorurteil,
daß Thriller immer noch ein vor allem amerikanisches Geschäft
und entsprechend auch nur mit der Power amerikanischer Kinomajors
auf den Markt zu bringen seien, während sich das Publikum
im Genre "Komödie" größtenteils für deutsche
Filme begeistert.
Huettners MUSTERKNABEN jedenfalls sprachen sich auf dem Münchner
Filmfest 97 schnell als Hit herum, wurden vom Publikum gefeiert
und von den Kinoverleihern umworben.
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