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Die Stille nach dem Schuss
Produktionsnotizen
Ein Gespräch mit Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase
und Regisseur Volker Schlöndorff
* Was hat Sie auf die Idee gebracht, die Geschichte einer bundesdeutschen
Terroristin, die in der DDR untertaucht, festzuhalten?
Kohlhaase: Es stand in der Zeitung damals,
1990, dass in der DDR westdeutsche Terroristen verhaftet wurden.
Es wurde über ihren Hintergrund in der RAF berichtet und
unter welchen Umständen, Namen und Identitäten sie
später in der DDR lebten. Innerhalb einiger Wochen wurden
an die 10 Personen verhaftet, übrigens noch in Zuständigkeit
der DDR und von der Volkspolizei. Man versuchte es wie eine Fahndung
aussehen zu lassen.
* Und das hat Sie dann zu einer Geschichte inspiriert?
Kohlhaase: Geschichten haben Vorgeschichten.
Es gab die Nazi-Zeit, den 2. Weltkrieg, die Niederlage, die Teilung
Deutschlands und den kalten Krieg. Vor diesem Hintergrund stehen
die Lebensläufe der Terroristen. Sie sind ja nicht aus irgendeiner
Kiste gesprungen, sondern sie waren die Kinder ihrer Eltern.
Als Volker Schlöndorff und ich über den Stoff sprachen,
schien uns, dass wir aus verschiedenen Richtungen und Erfahrungen
kommen, im Kino wie im Leben und gemeinsam eine deutsche Geschichte
erzählen könnten.
Schlöndorff: Zuerst interessierte sich
Wolfgang Kohlhaase mehr für das Leben der sogenannten Terroristen
im Westen: Ihrem Weg von einer Kaufhausbrandstiftung über
Anti-Vietnam-Proteste bis zum bewaffneten Kampf gegen den Staat.
Ich dagegen wollte mehr über die DDR wissen: Wie kommt man
zu einer Wohnung? Kann man die Arbeit wechseln? Darf man von
einer Stadt in die andere umziehen? Worüber spricht man
in der Kaffeepause, und solche ganz alltäglichen Dinge.
* Wie recherchiert man für ein solches Thema?
Kohlhaase: Ich habe alles gelesen, was es gab.
Und ich habe mich um Gespräche mit Inhaftierten bemüht.
Ich habe Susanne Albrecht, Hans-Peter Boock und Inge Viett im
Gefängnis besucht. Ich wollte mit den wirklichen Personen
sprechen, um Gesichtspunkte für fiktionale Personen zu finden.
Ich wollte etwas finden, um etwas erfinden zu können. Die
Erfindung verändert den Gegenstand.
* Aus Ihren Recherchen entstand die Figur der Rita Vogt, eine
westdeutsche Terroristin, die in der DDR unter- und ins alltägliche
Leben einer Arbeiterin eintaucht. Was glauben Sie war ihr Beweggrund
für diesen Schritt?
Kohlhaase: Ich glaube, dass die Leute in Terrorismus
irgendwann an den Punkt gekommen sind, wo sie begriffen, dass
ihre Aktionen und ursprünglichen politischen Ziele nicht
mehr zusammengingen. Sie steckten in einer Sinnkrise, andererseits
wurden sie so kompromisslos verfolgt, dass ihnen die Rückkehr
in ein bürgerlichens Leben nicht mehr möglich war.
Sie sahen sich nach exotischen Orten um und dachten an die dritte
Welt. Dass es dann die DDR war, wo sie ankamen, hat wohl niemand
geplant oder vorausgesehen.
Schlöndorff: Den "skurrilsten Politkrimi
der deutsch-deutschen Geschichte" hat es der Spiegel genannt.
Ja, die Geschichte war gut, aber schwer zu erzählen. Wieviel
muss ich von Ritas Vergangenheit wissen, um ihr Verhalten in
der DDR zu verstehen? Sie hat es nicht als ein Eingesperrtsein
empfunden. Für sie war dieses ganz normale Leben wie eine
Befreiung, sie hat sogar eine Art Glück gefunden. Sie machte
sich nützlich, wurde gebraucht und anerkannt. Sie hatte
auf einmal Zeit für Gefühle.
* Rita versucht sich in diese Alltäglichkeit einzufinden.
Lernt dabei mit Tatjana eine Frau kennen, die sich genau dagegen
auflehnt. Was lässt diese beiden Frauen Freundinnen werden?
Kohlhaase: Ein Gefühl füreinander.
Ein gewisser Non-Konformismus, ein Bestehen auf einer eigenen
Idee von sich selbst. Sie treffen sich, weil sie Fragen an die
Welt haben, wenn auch verschiedene. Für Tatjana ist Rita,
die aus dem Westen in die DDR geflüchtet ist, zunächst
ein Wesen von einem anderen Stern. Aber auch Rita hat sich nicht
vorgestellt, dass sie die Widersprüche in ihrer Welt nun
in dieser neuen und anderen Welt eintauscht gegen neue und andere
Widersprüche.
Schlöndorff: Die eine will weg, die andere
will ankommen. Beide mögen den Staat nicht, in dem sie geboren
worden sind. Sie fliehen ihn. Typisch deutsch, auch das. Und
fast immer ist die Liebe der Fluchthelfer. Rita liebt erst Andi,
der Bruch mit ihm ist auch der Bruch mit dem bewaffneten Kampf.
Dann verliebt sich Tatjana in diesen freien Vogel aus dem anderen
Land, und Rita entdeckt in sich eine bisher nie gekannte Zärtlichkeit.
Als sie Tatjana verraten muss, aus Staatsräson sozusagen,
flüchtet sie wieder ins aktive Leben, will in die Partei
eintreten, macht Sozialarbeit in einem Kombinat.
Sich aufopfern und keine privaten Gefühle mehr haben, scheint
sie von sich zu fordern. Da trifft sie im Sommerlager auf einen
jungen Physiker, der in ihr nur eine Frau sieht. Bis dahin hat
sie schon fast vergessen, dass sie keine normale Bürgerin
der DDR ist, sie lebt mit einer Legende, sie ist nicht frei.
Rita erschließen sich diese Widersprüche lange nicht,
sie bringt der DDR und ihrem gesellschaftlichen Konzept viel
Symphatie entgegen, so wie sie von den DDR-Behörden viel
Verständnis und Unterstützung erfährt. Ein Schlüsselszene
dafür ist das Gespräch zwischen dem Stasi-Offizier
Hull und seinem vorgesetzen General, der Revolution und Romantik
in eine Beziehung setzt.
Kohlhaase: Etwas von einem solchen Traum hat
sich in der DDR immer erhalten, gerade auch bei denen, die für
den Sozialismus gekämpft und gelitten hatten. Dabei hat
vielleicht mancher übersehen, dass er inzwischen zu einer
sehr unromantischen Bürokratie gehörte. Der General
sagt: "Ich träume doch immer noch, es ist doch nichts
fertig." Dabei ist auch Melancholie und die stille Frage,
ob die Sache überhaupt jemals fertig werden wird.
Schlöndorff: Die Haltung der alten Stasi-Leute
war überraschend: Sie kamen aus dem spanischen Bürgerkrieg,
aus dem Widerstand gegen Hitler, aus dem Partisanenkampf. Deswegen
hatten sie "Sympathie für romantische junge Leute,
die wenigstens einmal im Leben das Unmögliche versuchen
wollten".
Waren sie nicht selbst Romantiker, d.h. Idealisten, die noch
glaubten, durch entsprechende Maßnahmen eine bessere Welt
schaffen zu können? Umso härter traf beide die Wende:
Es war der Abschied von einer Utopie, die sich vielleicht verbraucht
hatte, ohne die es aber für sie kein Leben gab. Deutsche
Lebensläufe eben, wie es sie anderswo nicht geben konnte.
* Die Stille nach dem Schuss handelt von einer fiktiven
Figur vor einem realen Hintergrund. Dennoch ist es auffällig,
dass die Begriffe RAF und Stasi niemals auftauchen. Warum?
Kohlhaase: Dass mit "Behörde"
nicht etwa die Post gemeint ist, sondern die Staatssicherheit,
sieht wohl jeder. Wir wollten vermeiden, dass sich unser Film
wie eine Folie auf die Dokumente legt. Es gab nie eine Terroristin
Rita Vogt. Wir erzählen eine persönliche Geschichte,
die natürlich keine private ist.
* Ihr neuer Film erscheint im Blick auf Ihr Werk wie eine Rückbesinnung;
nicht nur von der Geschichte selbst her, sondern auch in der
Verbindung von persönlichem Schicksal und politischer Brisanz.
Schlöndorff: Eigentlich habe ich nichts
Neues zu bieten: Meine Filmografie ist wie mein Lebenslauf, viele
Kurven und Umwege, viele Aufbrüche, Trennungen, immer wieder
Rückkehr zur deutschen Geschichte. In den zehn Jahren, die
ich jetzt in Berlin bin, hatte ich wenig Zeit zum Filmemachen.
Umso mehr zum Erleben und beobachten. Das will jetzt abgearbeitet
werden. Es hatte etwas befreiendes, einfach wieder so zu drehen
wie früher.
* In gewisser Weise ist es ein Kostümfilm, der viel Sorgfalt
in Detail erfordert. Wie recheriert man die Zeitbezüge der
80er Jahre in der DDR und worauf mussten Sie als Regisseur bei
der Inszenierung achten?
Schlöndorff: Die Langeweile in der DDR,
meinetwegen auch das Unrecht, kann man nicht durch die Staatsapparate
oder Kulissen erzählen. Es wäre aufwendig und würde
langweilen. Die Haltung der Menschen aber sagt gerade zehn Jahre
danach immer noch viel. Das habe ich in Babelsberg gut beobachten
können, nicht im Großen, sondern im Kleinen.
Wie man sich grüßt, wie man hinschaut oder wegschaut,
und wann man lächelt. Deshalb erzählen wir das Land
durch die Gesichter, die sich nicht so leicht renovieren lassen
wie die Hausfassaden.
Wolfgang Kohlhaase liefert die richtigen, lakonischen Dialoge,
mit den nötigen Pausen, um in die Menschen einzudringen.
Sie stimmen einen traurig, sind komisch und berühren mich
zutiefst. Am Ende ist keiner ganz gut oder ganz böse, es
ist wie es ist, zurück bleibt die Emotion.
* Gab es Gründe auf prominente Namen in der Besetzung weitgehend
zu verzichten?
Schlöndorff: Ja, es war eine Entscheidung
vorweg und zum Teil aus Respekt für die Vorbilder. Es gab
sie ja, die Toten, und es gibt sie noch, die überlebt haben,
wenn auch in reichlich verzerrten Darstellungen. Das Klischee
des sogenannten Terroristen ist ein übermächtiges.
Dem ist nicht mit bekannten Schauspielern beizukommen.
Mit jungen, vollkommen unbekannten Gesichtern dagegen kann man
sie neu entdecken, dachte ich. Dasselbe gilt für die Jungen
aus der DDR. Unaufdringlich und spröde sollten sie sein,
aber lebendig, zum Anfassen, mit kräftigem Handschlag oder
liebevoller Umarmung.
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