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Keine Zeit - Westernhagen
Das Stichwort: Cinéma Vérité / Direct Cinema
Handliche, tragbare Filmausrüstung,
um Ereignisse direkt und unmittelbar
am Ort des Geschehens aufzunehmen;
ein Minimum an Schnitten innerhalb
einer Szene, um den Fluß der Handlung
nicht zu verfälschen; der Verzicht auf
ein Drehbuch und eine zurückhaltende
Regie, die dem Anspruch verfolgt, die
Dinge so abzubilden, "wie sie sind" -
das sind die herausragenden Merkmale
jenes Dokumentarfilmstils, der
allgemein mit "cinema verite" oder
"direct cinema" bezeichnet wird.
Die Spuren dieses Genres lassen sich
bis in die Pionierjahre des Films
zurückverfolgen. Die "actualites" der
Brüder Lumiere sind ein solches frühes
Dokument: Relativ unmanipuliert wird
hier durch das Auge der Kamera auf das
zeitgenössische Paris geschaut. Später
finden sich Elemente von "direct
cinema" in den Werken der
italienischen Neorealisten wie Roberto
Rosselini oder Vittorio de Sica, oder
bei den amerikanischen
Nachkriegsfilmern, etwa in Elia Kazans
"On The Waterfront" von 1954.
In den 60er Jahren erfuhr das "direct
cinema" dann seine eigentliche Prägung.
Tragbare Kameras mit synchroner
Tonaufzeichnung, wenn auch immer
noch über 40 Pfund schwer,
ermöglichten es den Filmemachern,
ihrem Anspruch an eine möglichst
unverfälschte und unmittelbare
Abbildung der Wirklichkeit
näherzukommen. Dahinter steht die
Überzeugung, daß das Auge der Kamera
"more truthfully" sehe als das
menschliche Auge (Dziga Vertov), und
daß die Aufzeichnung von
Ereignissen zu einem "privileged
moment" (Jean Rouch) führe, der die
Wahrheit über das gefilmte Objekt
offenbare .
Im Unterschied zum klassischen
Dokumentarfilm, in dem viel mit
narrativen Elementen wie nachträglich
eingespielten Kommentaren, gestellten
Szenen oder suggestiver Kameraführung
und Schnitt-Technik gearbeitet wird,
besteht der "direct"-Film
ausschließlich aus Original Bild- und
Tonaufnahmen und enthält sich
jeglicher filmtechnischer oder
erzählerischer Kommentierung.
"Direct cinema" läßt sich damit eher
als eine Weiterentwicklung des
Photojournalismus auf der Filmebene
charakterisieren, während der übliche
Dokumentarfilm mit der geschriebenen
Reportage zu vergleichen ist. Dennoch
gab es auch innerhalb des Genres
unterschiedliche Auffassungen, die sich
in der doppelten Bezeichnung
widerspiegeln: Während sich der
"direct cinema"-Regisseur als
unsichtbarer Beobachter, als "Fliege
an der Wand" (Richard Leacock)
versteht, sieht sich der "cinema
verite"Regisseur als aktiver
Teilnehmer und hofft, durch die
Anwesenheit der Kamera die Ereignisse
zusätzlich voranzutreiben .
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