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Wonderland


Ohne Klappe an realen Londoner Schauplätzen

Winterbottom fühlte sich ermutigt, einen auch für seine Verhältnisse durchaus radikalen Ansatz zu verfolgen, sowohl was die Drehvorbereitungen als auch die eigentlichen Dreharbeiten betraf. Er wollte mit seinem Film den ebenso neuartigen wie genauen Blick, den das Drehbuch auf die pulsierende Metropole London wirft, visuell in kongenialer Weise umsetzen.

Szene [600 | 1024] Um dies zu erreichen, also ein Gefühl der Natürlichkeit zu erzeugen, mußte er zu unkonventionellen Methoden greifen. So fanden die Filmaufnahmen ausschließlich an realen Schauplätzen ohne die Mitwirkung von Statisten statt. Daneben arbeitete man mit einer äußerst reduzierten Crew und es wurde durchgängig mit Handkamera gedreht.

"Die Tests, die wir im Vorfeld der Dreharbeiten an verschiedenen realen Schauplätzen vornahmen, bestätigten unseren methodischen Ansatz", erklärt Winterbottom. "Sobald wir beispielsweise zuviel künstliches Licht einsetzten, wurden sich die Leute unserer Anwesenheit zu sehr bewußt und verhielten sich selbst verunsichert und irgendwie künstlich.

Aus dem gleichen Grund verwendeten wir kleine Radiomikrophone, die man kaum bemerkt, verzichteten auf die berühmte Filmklappe am Anfang der Szenen und waren nur mit zwei oder drei Leuten aus der Crew vor Ort.

All dies geschah in der Absicht, möglichst viel von der wirklichen Atmosphäre in der Stadt einzufangen, und nicht eine künstliche filmisch zu kreieren. Um ästhetische Brüche im Film zu vermeiden, setzten wir dieses Verfahren, das ursprünglich nur für die Aufnahmen an öffentlichen Plätzen gedacht war, auch in denjenigen Szenen fort, in denen ausnahmslos professionelle Darsteller in geschlossenen Sets agierten."

Produzent Andrew Eaton fügt hinzu, daß diese Vorgehensweise während der Dreharbeiten Freiräume schafft: "Michael findet es frustrierend, beim Dreh darauf zu warten, bis das Licht eingerichtet ist, die Kostüme perfekt sitzen, das Make Up stimmt und nebenbei noch auf das Wetter achtzugeben, weil sich all das zwischen ihn und seine Schauspieler stellt. Seine Methode ermöglicht ihm, seinen Darstellern näher zu kommen und den Darstellern, sich länger dem Experimentieren mit ihrer Rolle zu widmen, statt die Zeit mit Warten und Rumsitzen zu verschwenden."

"Wenn Sie", so Eaton weiter, "die Szenen anschauen, die in Bars und an anderen realen Schauplätzen entstanden sind, dann spüren Sie ganz genau, daß dort reale Personen agieren und keine Statisten, deren Verhalten immer etwas Verkrampftes und Künstliches anhaftet."

Michael Winterbottom: "Im Vorfeld der eigentlichen Dreharbeiten war es das Wichtigste, die geeigneten Schauplätze zu ermitteln und daneben auch herauszufinden, wann, also zu welcher Tageszeit, wir dort filmen müßten, um eine ganz bestimmte Atmosphäre einfangen zu können. Weil wir das Geschehen an diesen öffentlichen Orten nicht kontrollieren und dort auch nichts verändern wollten, galt es dabei, äußerst sorgfältig vorzugehen. So verwendeten wir eine Menge Zeit mit der Suche nach geeigneten Wohnungen in den passenden Häusern in den richtigen Vierteln der Stadt; und mit der Suche nach den geeigneten Bars und Cafés; und mit der Suche nach dem geeigneten Friseursalon, wo Debbie arbeiten sollte, etc. etc. Denn schließlich sind zum Beispiel die Leute, die später im Film den Salon bevölkern, auch diejenigen, die dort wirklich arbeiten oder sich die Haare machen lassen."

"Mir hat dieser Teil der Arbeit sehr viel Spaß gemacht, jedoch bin ich sicher, unsere Location Manager hat diese Such-Odyssee zeitweilig völlig verrückt gemacht", räumt der Regisseur ein. "Die Anstrengung hat sich aber gelohnt, denn die Dreharbeiten verliefen deshalb viel entspannter. Weil auf dem Set schon alles perfekt war, konnten wir nämlich jederzeit sofort loslegen."

Dreharbeiten

Die eigentlichen Dreharbeiten für WONDERLAND begannen am 28. September 1998 und dauerten sieben Wochen. Gefilmt wurde ausschließlich in London an realen Schauplätzen. Um den authentischen Charakter der Drehorte nicht zu zerstören, beschränkte sich die Ausstattung des Films auf ein Mindestmaß. So konnte in den Cafés und Bars von Soho, im Fußballstadion, in den Kneipen und Bingohallen ohne die übliche Belastung komplizierter Lichtechnik und aufwendiger Requisiten gefilmt werden."

"Normalerweise", erklärt Michael Winterbottom, "hätte man für die Dreharbeiten in einer Bar oder Kneipe den gesamten Laden übernommen, für eine bestimmte Zeit geschlossen, mit Statisten gefüllt und eine Nachtszene wahrscheinlich um zehn Uhr morgens aufgenommen. Wir warteten, um die gewünschte Nachtathmosphäre einfangen zu können, wirklich bis spät in die Nacht, bis zu dem Zeitpunkt, wo die Leute bereits stark angetrunken waren und sich langsam anschickten, nach Hause aufzubrechen. Erst dann schalteten wir die Kameras an."

Obwohl die Filmemacher Stilemente des Dokumentarfilms einsetzten, hatten sie nicht vor, Wonderland wie einen Dokumentarfilm aussehen zu lassen. Um diesem Eindruck aus dem Weg zu gehen, wurde der auf 16mm-Material gedrehte Film nachträglich auf 35mm aufgeblasen. Produzent Eaton ist sich sicher, daß diese Maßnahme "jeden möglichen Zweifel darüber, ob es sich hier um einen Dokumentar- oder Spielfilm handelt, endgültig zerstreut hat."

Trotz, oder vielleicht auch gerade wegen dieser unkonventionellen Methoden bezeichneten sowohl die Schauspieler, als auch die Leute aus dem Filmteam die gesamten Dreharbeiten nach deren Abschluß als überaus wertvolle und gleichsam angenehme Erfahrung. "Das Ergebnis unserer gemeinsamen Bemühungen", findet der Regisseur, "stellt mich allein schon insofern zufrieden, als es einen sehr direkten, ungeschminkten, fast möchte ich sagen, schlichten Eindruck macht."

Wie Michele Camarda abschließend bemerkt, kommt dieser Film, der versucht, sich der Stadt London in ihrer irritierenden Vielschichtigkeit behutsam anzunähern, zu einem Zeitpunkt, zu dem die britische Metropole international gerade ziemlich angesagt ist: "Im Moment höre ich andauernd von allen möglichen Leuten, wie hip, schick und trendy es doch sein muß, jetzt an diesem Ort zu leben. Trotz aller Liebe zu dieser Stadt war es aber nicht unsere Absicht, solch ein geschöntes Trugbild mit unserem Film zu unterstützen, sondern die Realität ungeschminkt darzustellen. In Wonderland geht es um die Familie und die Suche nach Glück und Geborgenheit in einer modernen Großstadt, also um Themen von universeller Bedeutung."


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