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Atempause
Francesco Rosi über seinen Film
"Das Buch DIE ATEMPAUSE hat sofort nach seiner Erstpublikation
1963 in Italien bei mehreren Regisseuren und Produzenten für
großes Aufsehen gesorgt. Ich war einer dieser Regisseure.
Allerdings erwies sich das Projekt als sehr schwierig, die Jahre
vergingen, und zahlreiche andere Filme beanspruchten meine Arbeitskraft.
Aber: Die immer wichtigen, zeitlosen Themen der ATEMPAUSE, die
Poesie, die menschliche Bedeutsamkeit und die eindringliche Warnung
vor antisemitischen Vorstellungen und deren furchtbaren Konsequenzen
kamen in meinen Gedanken immer wieder an die Oberfläche.
DIE ATEMPAUSE ist ein Film über das Heimkehren. Er beschreibt
die Odyssee einer Gruppe Menschen, die den unbegreiflichen nationalsozialistischen
Plan, alle Juden, Zigeuner, Homosexuelle, Dissidenten, Verkrüppelte
und überhaupt jeden Menschen, den die Nazis für schädlich
hielten, zu vernichten, um so die Reinheit und die herausgehobene
Stellung der sogenannten "Arischen Rasse" zu erhalten,
überlebt haben.
Das Grauen und das Leid in Vernichtungslagern wurde bereits
ausführlich dokumentiert. Ich war mehr daran interessiert,
auf die Leinwand zu bringen, was Levi in seinem Buch so außerordentlich
erfolgreich gelingt: das Nachempfinden jener Prozesse des allmählichen
Wiedererwachens, des In-das-Leben-zurückkehrens und des
Aufkeimens von Hoffnung. Dieses Ziel erreicht Levi sowohl durch
Schilderungen von bemerkenswerten Abenteuern, als auch von ganz
alltäglichen Ereignissen, im Kleinen wie im Großen,
auf ebenso natürliche wie spielerische Weise, und läßt
so einen kumulativen Effekt entstehen, dessen Zweck es ist, immer
wieder den Triumph des Lebens über den Tod darzustellen
und zu beweisen.
Die Herausforderung für mich lag darin, Primo Levis Einsichten,
seine Beschreibung von Schmerz, aber auch seine Wanderung über
den dünnen, oftmals komisch erscheinenden Grat zwischen
Tragik und Groteske nachzuerzählen.
Ich wollte seine Vision einfangen, eine Vision, die Schicksal
mit Ironie zu verbinden vermag, und die den Zuschauer in Worte,
Bilder und Geräusche einwebt, wie das nur im Kino auf geradezu
magische Weise geschehen kann.
1987 begann ich ernsthaft mit der Entwicklung des Projekts.
Zu dieser Zeit unternahm niemand in Italien den Versuch, einen
Film über den Holocaust zu drehen Ich rief Primo Levi an
und bat ihn um Erlaubnis, sein Buch zu verfilmen. Er war von
dieser Idee sehr angetan, und ich fühlte mich sowohl stolz
als auch in einer besonderen Hinsicht verantwortlich.
Levi sagte mir, daß mein Vorschlag ein wenig Licht in
einen der dunkelsten Momente seiner Existenz brachte. Dennoch
erreichte mich kurz darauf die Nachricht von seinem Freitod.
Ich war nicht mutig genug, sofort Kontakt zu seiner Familie aufzunehmen.
Statt dessen beschäftigte ich mich mit zwei anderen Filmen,
ohne jedoch die Idee, "Die Atempause" zu verfilmen,
zu verwerfen. Geleitet von meinem Instinkt wartete ich ab - eingedenks
einer niemals ausgesprochenen Übereinkunft zwischen mir
und Primo Levi, die sich aus meinem Sinn für Verantwortung,
Risiko, Beständigkeit und meiner besonderen Verpflichtung
gegenüber dem Projekt zusammensetzte.
1989 fiel die Berliner Mauer, und die Hoffnung auf eine neu
zu begründende Brüderschaft zwischen den Menschen führte
mich dazu, das Projekt als noch wichtiger und in gewisser Weise
noch notwendiger als bisher zu erachten. Die Ereignisse, die
seither das östliche Europa und das ehemalige Jugoslawien
erschüttern, haben dieses Gefühl einer Notwendigkeit
bestätigt - die Notwendigkeit zu mahnen und zu warnen, eine
Notwendigkeit, der Primo Levi sich ganz und gar verschrieben
hatte.
So schreibt er in der Einleitung zu "Die Atempause":
"Jetzt ist die Geschichte erzählt. Die Zeit ist gekommen.
Bald werden wir die fremden Kommandos wieder hören...".
Aber diese außergewöhnliche Erzählung beinhaltet
auch einen Traum vom Frieden, der Brüderschaft, der Solidarität
und der Hoffnung. All das zeigen uns die unvergeßlichen
Charaktere Primo Levis, wenn sie entdecken, daß sie vergessen
hatten, wie wunderbar die Welt sein kann... "
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