Atempause
Regie: Francesco Rosi
Francesco Rosi wurde 1922 in Neapel geboren. Als junger Mann
wurde er sehr stark von der reichen intellektuellen Tradition
seiner Heimatstadt beeinflußt - besonders in Rosis Spätwerk
sind solche Einflüsse spürbar. Einem Onkel verdankt
Rosi erste Berührungen mit Theater und Show-Business - gemeinsam
mit ihm besuchte Rosi als Kind häufig Zirkusvorstellungen,
Operetten und die berühmten neapolitanischen-Varietées.
Rosi besuchte die Höhere Schule und studierte Jura an der
Universität von Neapel. Die dort herrschende antifaschistische
Atmosphäre übte einen weiteren prägenden Einfluß
aus. Rosi, Sohn eines erfolgreichen Illustrators, begeisterte
sich für Comics und illustrierte "Alice im Wunderland".
Im Zuge der Freiheitsbewegung arbeitete Rosi für Radio
Neapel. 1946 folgte der Umzug nach Rom, wo er als Schauspieler
und Regieassistent für Ettore Giannini erste Erfolge im
Show-Business sammelte. Seine Erfahrungen übertrug Rosi
bald auf die Welt des Kinos und arbeitete fortan für Luchino
Visconti (Die Erde Bebt (1947/48), Bellissima
(1951) und Senso (1953/54)), Michelangelo Antonioni
und Mario Monicelli.
Parallel begann Rosi mit dem Schreiben von Drehbüchern,
beispielsweise ebenfalls für Bellissima, zusammen
mit Visconti. 1952 ersetzte Rosi Goffredo Alessandrini bei der
Regie von Rote Hemden. Vittorio Gassman und Rosi teilten
sich 1955 die Regie eines Stücks von Kean. Die erste völlig
eigenständige Regie folgte 1957/58 mit Die Herausforderung,
einem nüchtern beobachtenden Film über die organisierte
Kriminalität in Neapel. Die Herausforderung wurde
beim Filmfestival in Venedig mit einem Sonderpreis als bester
Film eines Regiedebütanten ausgezeichnet.
Rosis nächster Film, Auf St. Pauli ist der Teufel los
(1959), ist eine scharfe Satire mit sozialkritischen Elementen,
gerichtet gegen rigorose und bigotte Moralvorstellungen. 1961/62
folgte Wer Erschoss Salvatore G.?, nach der
Meinung vieler Kritiker Rosis Meisterwerk. Der Film wirft in
verstörender und neorealistischer Manier einen Blick auf
die historischen und sozialen Umstände, die den Sizilianer
Salvatore Giuliano, einen Banditen, dazu führten, sich an
die Spitze einer separatistischen Armee zu stellen. Der Film
wurde ausschließlich an Originalschauplätzen gedreht,
einschließlich den Sequenzen, die das Portella della Ginestra-Massaker
zeigen. Der Film wurde, von anderen Preisen abgesehen, in Berlin
mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet.
Hände über der Stadt von 1963 untersucht
kritisch neapolitanische Zustände, die sich aus Bauskandalen,
Korruption und organisierter Kriminalität erklären.
In Augenblick der Wahrheit (1965) blickt Rosi nach Spanien.
Der Film erzählt das ganz alltägliche Leben eines Toreros,
zeigt den umjubelten Helden als Menschen bar seiner Maske des
Ruhms.
Schöne Isabella (1966) ist ein modernes Märchen
mit den großen Themen Unschuld und Ausbeutung. Mit Bataillon
der Verlorenen (1970) kehrte Rosi zu sozialkritischen und
politischen Themen zurück: Der Erste Weltkrieg bildet den
Handlungsrahmen des strikt antimilitaristischen Films. 1971/72
folgte Der Fall Mattei, ein mit der Goldenen Palme ausgezeichneter
Polit-Thriller. Lucky Luciano (1973) erzählt den
Werdegang des berühmten Mafiosi, seinen Weg zur Macht und
die von ihm ausgehende Neuorganisierung der ehrenwerten Familie.
Zu den Filmen Rosis, die ebenso eindringlich wie grandios von
Macht und Korruption erzählen, gehört auch Die
Macht und ihr Preis (1975/76), nach einem Buch des Sizilianers
Leonardo Sciascia. Christus kam nur bis Eboli (1978)
vermittelt ein beeindruckendes Bild von einem verarmten, desperaten,
hoffnungslosen Süditalien. Drei Brüder (1980),
ein Richter, ein Lehrer und ein Fabrikarbeiter, treffen sich
in ihrem süditalienischen Dorf anläßlich der
Beerdigung ihrer Mutter. Die Geschichte entfaltet sich vor dem
Hintergrund totaler sozialer Desintegration und der ständigen
Angst wir terroristischen Übergriffen.
Carmen (1983) adaptiert Bizets weltberühmte Oper
für die Leinwand - und mit leichter Hand läßt
Rosi eine der gelungensten Filmversionen einer Oper überhaupt
entstehen. In Chronik eines Angekündigten Todes
(1986), nach einer Erzählung von Gabriel Garcia Marquez,
setzt Rosi seine bereits begonnene Untersuchung spezieller Gewaltphänome
der lateinamerikanischen Kultur fort. Palermo Vergessen
(1989) ist gleichsam eine Zusammenfassung und Anthologie der
sozialen und politischen Kritik Rosis an den Verhältnissen
im modernen Italien.
1992 folgt Neapolitanisches Tagebuch, ein TV-Film,
der die Themen von Hände über der Stadt aufgreift
und aktualisiert. DIE ATEMPAUSE (1996) ist die bislang
letzte Regiearbeit Francesco Rosis - ein grandioses Bekenntnis
zum Leben und zur Menschlichkeit.
|