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Psycho

Hitchcocks Gegenwart


Szene Hitchcock war während der Produktion von "Psycho" allgegenwärtig und schwebte wie ein Geist über Gus Van Sant. Dieser hatte sich schon sehr früh dafür entschieden, dieselben Einstellungen vorzunehmen wie Hitchcock, auch wollte er die Szenenplanung des Meisters und sogar seinen 37-Tage-Drehplan einhalten.

Vor allem wollte Van Sant erreichen, was Hitchcock in seinen spannendsten Filmen erreicht hatte: Er wollte die Kamera so einsetzen, daß das Publikum den Film im Hals und in der Magengegend eher spürt als sieht. Hitchcock wollte sein Publikum zu virtuellen Komplizen der Verbrecher machen, und niemand konnte diesem Bann entkommen. Diese Qualität war für Van Sant das Allerwichtigste an der Neufassung.

Das bedeutete - wie auch bei Hitchcock - ein hohes Maß an Vorbereitung. Hitchcock sagte einmal, 95 Prozent der Arbeit an einem Film sollten beendet sein, ehe die Darsteller das Tonstudio betreten. Noch ehe die Produktion begann, plante der Regisseur Hitchcock jeden Shot aufs gewissenhafteste in seinem Kopf - ganz ohne Schauspieler.

Van Sant stand nun vor derselben Aufgabe. Auf einem DVD-Player schaute er sich jedes Szene des Originals im Hinblick auf Timing genau an, um eine exakte Synchronisation zu erreichen. "Es war mühsam, aber gleichzeitig faszinierend und lohnend", sagt Van Sant. "In ein paar Szenen wichen wir völlig vom Original ab und lieferten unsere eigene Interpretation. Aber 95 Prozent filmten wir originalgetreu."

Van Sant weiter: "Ich war davon überzeugt, daß das Original die richtige Wirkung hatte und daß wir lediglich Farbe hinzufügen und die Figuren aktualisieren sollten. Die Charakterisierungen sind natürlich verschieden, weil wir verschiedene Darsteller haben, und die Beleuchtung ist anders, weil wir einen anderen Filmtyp benutzen. Aber das Timing und die Szenenplanung wollte ich soweit wie möglich beibehalten. Ich dachte, wenn wir fast alles originalgetreu lassen, könnten wir mit dem Rest ein bißchen herumspielen."


Szene Van Sant veränderte die Eröffnungseinstellung, hielt sich aber an Hitchcocks Absicht. Er wollte ein billiges Motel in Phoenix zeigen - von einem Hubschrauber aus, der über die Straßen flog. Damals war die Technik, aus dem Hubschraubern zu filmen, noch neu, und die Szene gelang nicht so richtig. Van Sant hatte nun die Gelegenheit, die Szene in Hitchcocks Geist neu zu gestalten.

"Heute ist diese Aufnahmetechnik durchaus an der Tagesordnung. Wir machten einfach das, was sie sich 1960 vorgestellt hatten. Unser Shot ist sehr gut geworden", sagt Van Sant. "Die Szene wirkt friedlich und verträumt."

Ironischerweise war Hitchcocks innovative Filmtechnik, zum Beispiel die Rückprojektion und die Verwendung von Masken zur Teilabdeckung, damals derart revolutionär, daß es für Van Sant auch heute noch eine Herausforderung war, die perfekten Shots von "Psycho" nachzustellen. Van Sant hierzu: "Hitchcock war derart bahnbrechend, daß er in seiner Zeit bereits Shots zustande brachte, die für uns heute noch schwierig und teuer sind."

Obwohl die digitalen Effekte im zeitgenössischen Film die Rückprojektion weitgehend ersetzt haben, benutzte Van Sant diese Technik genau wie Hitchcock für die ersten Sequenzen. Er verwendete allerdings die modernste Rückprojektionstechnologie, mit hochmodernen Projektoren und Spezialstativen für die Projektionskopien, die später als Action-Hintergrund benutzt wurden.

Die Filmemacher hielten sich weitgehend an die Technik, die in Hitchcocks Tagen verfügbar war. Allerdings wurden einige Digitaleffekte hinzugenommen. Es sollte eine starke Verbindung zur Vergangenheit entstehen. Van Sant arbeitete mit dem Visual-Effects-Unternehmen Illusion Arts, dessen Künstler bei Albert Whitlock in die Lehre gegangen waren, der wiederum Hitchcocks bevorzugter Berater in optischen Angelegenheiten gewesen war.

Dany Wolf bemerkt: "Wo es nur möglich war, ahmten wir Hitchcocks Technik nach. Wir benutzten aber dabei modernere Mittel, soweit sie effektvoll waren und der Absicht des Originals entsprachen. Der Film ist wirklich eine Mischung aus alt und neu."

Das einzige High-tech-Werkzeug, das Hitchcock für "Psycho" verschmähte, war die Farbe. Er fürchtete, das realistisch rote Blut würde nicht durch die Zensur gehen. Dabei war er berühmt für seinen perfektionistischen Einsatz der Farbe. In klassischen "psycho"-logischen Thrillern wie "Vertigo - Aus dem Reich der Toten" wählte er jede Nuance und Schattierung der Farbe sorgfältig aus. Van Sant und seine Techniker wollten ähnlich wie Hitchcock mit der Farbe arbeiten, und sie erfanden neue Schattierungen für die ehemals grau-in-graue Welt des Bates-Motels. Kameramann Chris Doyle hierzu: "Der Produktionsdesigner, die Kostümdesignerin und ich arbeiteten in allen Einzelheiten eng zusammen. Die Wirkung der Bilder war für uns von größter Wichtigkeit."

"Der Einsatz der Farbe war die größte Herausforderung für uns", fügt der Produktionsdesigner Tom Foden hinzu. "Wir mußten den Schwarzweißfilm in einen modernen Farbfilm übersetzen. An einer Stelle dachten wir, Grün sei die "Psycho"-Farbe. Wir lassen die Farben thematisch durch den ganzen Film laufen. Es fängt an mit einem ziemlich blassen Bild mit einfachen Farben, und wenn wir uns dann dem Bates-Haus und dem Motel nähern, werden die Farben lebendiger und komplexer. Und am Ende bewegen wir uns wieder von den reichen Farben weg und kehren zu den blassen Tönen zurück."

Auch bei den Locations folgten die Filmemacher dem Original. Hitchcock zog Aufnahmeorte vor, an denen er alle Einzelheiten des Designs kontrollieren konnte. Die chaotischen Locations vermied er. Ca. 98 Prozent des ersten Films entstanden in den Universal Studios und in den Universal-Revue-Studios. Van Sant ging ähnlich vor.

Ursprünglich hatte die Crew vor, das für Hitchcock gebaute Bates Motel und die anliegende Wohnung zu benutzen, aber das erwies sich als unmöglich. Dany Wolf erklärt: "Das Haus und das Motel waren für die Universal-Studios-Tour mehrfach bewegt worden, und als wir das Ganze am Anfang der Produktion besichtigten, war die Position völlig falsch. Wir stellten mit Hilfe von Fotos aus dem Originalfilm eine Analyse an, und stellten fest, daß es nicht ging."

Also gingen Van Sant und seine Leute genauso vor wie die Filmemacher von "Psycho" 1960: Sie bauten ihr eigenes Haus im Studio. Dabei modernisierten sie die viktorianische Fassade des frisch gestrichenen Originals. "Die Position ist jetzt originalgetreu, aber es ist ein neues Haus, ein originelles und ganz besonderes Haus", sagt Wolf. Das Haus wurde neu eingerichtet, und das Team arbeitete in den Universal-Studios 12, 20 und 22, außerdem auf der Colonial Street und der New York Street.

Abweichend von der Tradition wurden neue Locations benutzt, vor allem Gorman in Kalifornien für die unheimlichen "Sumpf"-Szenen mit Norman Bates. Hitchcock hatte Falls Lake auf dem Universal-Aufnahmegelände benutzt, aber Falls Lake ist inzwischen hinlänglich aus Filmen bekannt, außerdem ist es zu groß und zu unhandlich für die Sumpf-Szenen. Als die Crew der zweiten Aufnahmeeinheit während der Aufnahmen für die Fahrtszenen in Gorman zufällig einen sumpfigen, moosigen Teich fand, wußte sie, daß sie das perfekte rabenschwarze Terrain für diese Szene gefunden hatte.

Bei den Sets benutzten die Filmemacher Hitchcocks Originalpläne, sie modernisierten lediglich den Stil und die Einrichtung. Typische Requisiten wie Normans Raubvögel und die beängstigenden Details im Zimmer der Mutter wurden übernommen. "Wir versuchten zwar, so nahe wie möglich am Original zu bleiben, aber unser Set ist doch eher modern", erklärt Tom Foden. "Es gibt eine Reihe von visuellen Bezügen, die zwar nicht ganz identisch mit dem Original sind, aber durchaus an das Original erinnern."

Der allerschwierigste Teil des neuen Sets war wohl die unheilschwangere Dusche in Marion Cranes Motel-Badezimmer. Der Wusch, die Spannung punktgenau aufzubauen, war stärker als der Wunsch, das Original getreu zu kopieren. Dany Wolf hierzu: "Wir hatten zum Glück Chris Doyle, einen meisterhaften Kameramann. Chris und Gus Van Sant mochten noch so sehr den Wunsch gehabt haben, originalgetreu zu arbeiten, es blieb immer noch Raum für Experimente. Die Szene in der Dusche ist genauso realistisch und schockierend wie im Original, trotzdem ist die Sequenz kein bloßes Abziehbild geworden."

Die bei Hitchcock so wichtigen Nuancen und Einzelheiten sind alle wieder da. "Wir machten Versuche mit verschiedenfarbigen Fliesen, wir vergrößerten den Duschkopf, um die Kamera unterzubringen, aber im großen und ganzen behielten wir das Original-Set bei. Wir benutzten lediglich einen neuen, großen Duschkopf", kommentiert Tom Foden.

Natürlich ist es das, was in der Dusche und in den folgenden Szenen stattfindet, was "Psycho" zu dem beunruhigenden Erlebnis macht, das sich auch nach 38 Jahren noch einstellt. Diese Augenblicke, die Art, wie Spannung bis an die Schmerzgrenze erzeugt wird - all das wollte auch Van Sant erreichen. Es sollte authentisch sein und trotzdem so atemberaubend und aufregend, wie es Hitchcock selbst gefordert hätte.

Während der Streit der Kritiker in den Medien tobte und die Filmemacher versuchten, ihr Konzept zu realisieren, bestand das Risiko einer allzu großen Ehrfurcht seitens der Darsteller und der Crew. Ein solches Tabu versuchte Van Sant von Anfang an zu vermeiden. Alle Beteiligten wurden immer wieder an das erinnert, was Hitchcock einmal über das Hauptziel seines Filmemachens gesagt hatte: "Wir wollen nichts weiter, als die Zuschauer zu Tode zu erschrecken."


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