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Psycho


Szene

Warum ein Remake von PSYCHO?

Norman: Wir alle sind manchmal ein bißchen verrückt. Sie nicht?
Marion: Doch ... aber manchmal genügt ein einziges Mal.
--Aus dem "Psycho"-Drehbuch von Joseph Stefano

Fast vierzig Jahre lang war der Filmtitel "Psycho" ein Synonym für Spannung. Als Alfred Hitchcock "Psycho" 1960 drehte, war dieser Film der beunruhigendste, in sexuellen Dingen freieste und gleichzeitig der gewalttätigste Film, der je in Hollywood produziert wurde. Das Publikum war schockiert von der ungeschminkten Darstellung eines psychopathischen Mörders, und die Menschen waren nach dieser aufrüttelnden Erfahrung manchmal ängstlich bei der Benutzung von Duschen.

Seither wurden die Methoden, mit denen Hitchcock sein Publikum an die Kinostühle zu fesseln verstand, oft nachgeahmt, doch die Wirkung von "Psycho" wurde nie erreicht. Laut einer TV-Guide-Umfrage steht "Psycho" auf der Liste der Angstmacher an zweiter Stelle; und das American Film Institute zählte ihn zu den 100 wichtigsten amerikanischen Filmen.

"Psycho" verstörte und beunruhigte die Zuschauer, die sich in die grausige, aber gleichzeitig anziehende Welt jenes Motels begaben, in dem Norman Bates und seine alte, dominante Mutter herrschten. Diese Wirkung geht ausschließlich auf das Konto des spannenden Drehbuchs von Joseph Stefano und der meisterhaften Regie von Hitchcock mit seiner voyeuristischen Kamera, seinen Staccato-Schnitten und seiner Bereitschaft, sich in die dunkelsten Abgründe der menschlichen Psyche zu stürzen.

Der Film war mit nichts zu vergleichen, was es je in der Filmgeschichte gegeben hatte. "Psycho" war und ist nach wie vor ein Meisterwerk. Warum sollte man also heute Hand an dieses Meisterwerk legen?

Der Regisseur Gus Van Sant hat eines der größten Tabus des zeitgenössischen Filmemachens gebrochen, indem er ein Remake des Films "Psycho" drehte. Obwohl etwas Ähnliches nie zuvor versucht worden war, reizte Van Sant die Vorstellung, sich einen unbestrittenen Klassiker vorzunehmen und zu sehen, was passieren würde, wenn man ihn ein zweites Mal drehte - mit einem weitgehend identischen Drehbuch, aber mit modernen filmtechnischen Mitteln.

Teils eine Hommage an Hitchcock, teils eine Neuvorstellung für das junge Publikum, teils ein kühnes Experiment - das Remake von "Psycho" soll keinesfalls das Meisterwerk von 1960 verdrängen. Vielmehr ist der Film eine erneute Annäherung, ein Versuch, herauszufinden, was passiert, wenn ein Regisseur unserer Generation dieselbe rasiermesserscharfe Klinge führt.

Gus Van Sant war seit jeher von "Psycho" fasziniert. Es fing damit an, daß er über die Möglichkeiten von Hollywood-Remakes nachdachte. Van Sant fand heraus, daß fast ausnahmslos nur solche Filme ein Remake erfuhren, die nicht mehr populär waren und nur noch gelegentlich als Mitternachts-Movies gezeigt wurden. Große, dauerhafte Klassiker wurden kaum je angetastet, außer in Fällen, in denen diese Filme bis zur Unkenntlichkeit verändert wurden.

Van Sant, bekannt für die Kühnheit seiner Stoffwahl, wollte die Herausforderung aufnehmen und einen klassischen, bahnbrechenden Film so anpacken, wie Regisseure sonst nur mit unerschöpflichen Werken wie Shakespeares Hamlet umgehen. Er nahm sich den ultimativen amerikanischen Klassiker vor, einen Film, der schon 1960 seiner Zeit weit voraus war und der auch heute noch die Zuschauer verblüfft.

Die erste Reaktion von fast allen Seiten war Erstaunen: "Warum um alles in der Welt wollen Sie das machen?" Die einen fanden es unerhört, andere hielten es für ein Sakrileg.

Van Sant hatte eine Antwort parat: "Ich wußte, daß es Filmstudenten, Cineasten und andere Interessierte gab, die "Psycho" gut kannten, aber es gab auch eine ganze Generation von Kinogängern, die den Film noch nicht gesehen hatten" sagte er. "Ich dachte, ich könnte auf diesem Weg einen Klassiker populär machen. Ich hatte vorher noch nie an so etwas gedacht. Ich wollte so vorgehen wie jemand, der einen Bühnenklassiker modern inszeniert, sich dabei aber streng an den Originaltext hält."

Wie viele Kinoliebhaber seiner Generation sah auch Van Sant Hitchcocks "Psycho" zum erstenmal im Fernsehen. Erst viel später konnte er die Alptraumwelt des Films auf der großen Leinwand sehen, und das nur, weil er damals ein Filmstudent war. Er fragte sich, ob Millionen von potentiellen "Psycho"-Interessierten jemals die Gelegenheit haben würden, das Bates-Motel auf der großen Leinwand zu betreten, und ob sie dann nicht vielleicht von dem Zeitgeist der Sechziger, der in dem Film herrschte, enttäuscht sein würden.

Er fährt fort: "Viele glauben, daß das Kino eine relativ junge Kunstform ist und daß deshalb keine Notwendigkeit besteht, einen Film neu 'auf die Bühne zu bringen'. Aber in dem Maße, in dem das Kino älter wird, gibt es auch ein immer größer werdendes Publikum, das alte Filme, Stummfilme und Schwarzweißfilme nicht mehr richtig versteht. "Psycho" eignet sich hervorragend, als modernes Stück neu inszeniert zu werden.

Die Reflexion ist in dem alten Film ein Leitmotiv: überall sind Spiegel, und die Figuren spiegeln sich gegenseitig. Meine Version hält dem Original einen Spiegel entgegen; mein Film ist eine Art Zwillingsbruder des alten Films." Als Van Sant anfing, Argumente für ein "Psycho"-Remake zu sammeln, waren die Reaktionen durchaus positiv. Universal Pictures (die Eigentümer des Filmmaterials), die Hitchcock-Erben, der Drehbuchautor Joseph Stefano und Van Sants neuer Produktionspartner Brian Grazer von Imagine Entertainment - alle befürworteten das ehrgeizige Unternehmen. Grazer war einer der ersten, die das Projekt faszinierend fanden und es unterstützten.

Grazer meint: "Für mich war "Psycho" schon immer der erste wirklich furchterregende Film, der unabhängig von der Zeit wirkte. Er ist nicht abhängig von Trends oder Moderichtungen; das Drama, die Spannung und der Schrecken 'funktionieren' unabhängig von einer bestimmten Epoche. Ich fand es gut, daß Gus von Hitchcocks Drehbuch, von seinen Grundideen für die Sets und von seiner Zeitplanung ausgehen wollte, daß er aber das Ganze mit einer neuen Sensibilität erfüllen und mit neuen Schauspielern verfilmen wollte."

"Im Theater ist ein solches Vorgehen an der Tagesordnung, weil wir dort nicht nur die Inszenierung beurteilen, sondern auch das Stück", fährt er fort. "Wenn wir ein Stück neu auf die Bühne bringen, geben wir dem Publikum die Gelegenheit, ein großes Werk neu kennenzulernen. Und jetzt experimentieren wir auf dieselbe Weise mit einem Film."

Dany Wolf, der Executive Producer fügt hinzu: "Alfred Hitchcocks "Psycho" ist dem Publikum heilig, und Universal ist sehr stolz auf diesen Film. Trotzdem war es möglich, ein Remake zu versuchen und dabei dem Original die nötige Ehrfurcht zuteil werden zu lassen."

Die Stunde der Wahrheit kam, als Van Sant sich an diejenigen wandte, die 1960 mit Hitchcock zusammengearbeitet hatten. Würden sie laut aufschreien und protestieren? Patricia Hitchcock O'Connell, die Tochter des Altmeisters, die in dem alten Film mitgespielt hatte und die in dem neuen Film als technische Beraterin arbeitet, gab mit ihrer Meinung den Ton an: "Ich glaube, das ist sehr schmeichelhaft. Ich glaube, auch mein Vater fände es schmeichelhaft, daß "Psycho" wegen seiner großen Bedeutung 'neu aufgelegt' wird. Mein Vater drehte alle seine Filme ausschließlich für das Publikum. Nicht für die Kritiker. Und auch nicht für sich selbst. Sein Grund Nummer eins war das Publikum, und das Publikum ändert ich nicht."

Sie fügt hinzu: "Natürlich hat jeder Regisseur seinen eigenen Stil. Ich halte Gus für einen großen Regisseur, und auch mein Vater war ein großer Regisseur. Es war faszinierend, mit anzusehen, wie Gus den Film meines Vaters in seinem eigenen Stil neu drehte."

Eine typische Reaktion kam von Marshall Schlom, dem ursprünglichen Script Supervisor. "Als ich von dem Vorhaben hörte", erinnert er sich, "traute ich meinen Ohren nicht. Gus Van Sant hatte eine Hommage an Hitchcock vor. Der Film sollte im wesentlichen derselbe wie unser alter sein, nur aktualisiert. Ich dachte: Da sieht man, wieviel dieser Film den Menschen bedeutet. Jetzt können auch junge Leute ihn sehen, und vielleicht sehen sie sich dann auch das Original an."

Er fährt fort: "Als wir den Film 1959 drehten, wußten wir nicht, daß er ein Klassiker werden würden. Er war nicht sehr teuer. Hitchcock drehte ihn mit seiner TV-Filmcrew. Der Film erschien uns damals nicht so bedeutend wie "Das Fenster zum Hof" oder wie "Der unsichtbare Dritte". Es war eigentlich nur ein kleiner Film. Und man sollte ihn so abschauen, als würde man einen Gartenpfad entlanggeführt - von einem Mann, der einem eine Geschichte erzählen will."

Van Sant wollte dieselbe Erfahrung vermitteln, die das Publikum 1960 gemacht hatte. Auch er wollte die Zuschauer den Gartenpfad hinunterführen, bis dorthin, wo es kalt und dunkel und schrecklich wird. Der Regisseur wollte dazu Joseph Stefanos ursprüngliches Shooting-Script verwenden. Aber die Frage blieb offen: Würde sich der Autor eines der meist-analysierten, am häufigsten nachgeahmten und psychologisch abgründigsten Drehbücher, die das amerikanische Kino je erlebt hatte, von einer Neuverfilmung seines Werks überzeugen lassen?


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