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Alegria
Dreharbeiten an phantastischen Orten
ALEGRíA wurde vom 10. Juli bis zum 6. September
1997 in Amsterdam, wo der Cirque du Soleil sein europäisches
Hauptquartier unterhält, sowie in Berlin gedreht, wo seinerzeit
die Bühnenversion von "Alegría" in einem
Großzelt aufgeführt wurde. Produktionsdesigner Ben
van Os war bemüht darum, dem Film einen anderen visuellen
Stil als der Bühnenfassung zu geben und dennoch die märchenhafte
Güte des Materials beizubehalten.
In Amsterdam fand er mit dem hundert Jahre alten Western Gas
Gebäude und dem Olympiastadion von 1928 zwei Drehorte, die
seinen Ansprüchen genügten und in denen er fantastische
Sets errichten konnte.
In der Gasfabrik, die von einem 55 Meter breiten Stahlzylinder
beherrscht ist, ließ van Os die sinistre Blumenfabrik Marcellos
entstehen und nutzte dafür in der Art eines gigantischen
Spinnennetzes fünf Kilometer Seil, in deren Mitte Marcello
despotisch die Kinder beaufsichtigte. Zehntausend Blumen, die
Hälfte frisch, die andere Hälfte künstlich, wurden
außerdem für die surrealistische Atmosphäre in
Strohballen und Sandberge oder an der Decke in über 1200
herabhängende Flaschen gesteckt, was die Luft mit Farben
füllte.
Weitere Schlüsselszenen erforderten weitere Phantasieflüge
des Ausstattungsteams. Für die Szene etwa, in der die Kinder
nach ihrer Flucht vor Marcello neu eingekleidet wurden, kamen
24000 Kilo Stoff zum Einsatz, die auf einer zwanzig Meter breiten
Rampe sprichwörtlich zum Hineintauchen einluden.
Insgesamt kreierte Cirque du Soleil-Designerin Dominique Lemieux
über 2000 Kostüme für ALEGRíA,
die sie den Charakteren nach einem System unterschiedlicher Farbcodes
zuordnete: "Normale Leute waren beispielsweise in Blau gekleidet,
die Marktleute trugen Erdtöne und die Prostituierten im
Rotlichtbezirk erhielten der harten Kontraste wegen Pastelltöne."
Eine weitere Herausforderung bot die Ausstattung von rund 2500
Statisten, nachdem die Produktion von Amsterdam nach Berlin gezogen
war. "Zum Glück hatte ich bereits fünfzig Kostüme
für die Show designed," sagt Lemieux, "die ich
variieren und für die Massenszenen reproduzieren lassen
konnte." Insbesondere die Sequenz mit eintausend in Weiß
gekleideten Kindern inmitten eines weißen Zeltes zum Schluß
der Geschichte forderte dem Team um Lemieux dabei Höchstleistungen
ab.
Drei Wochen drehte die ALEGRíA-Crew in Berlin
vor, zwischen und nach täglichen "Alegría"-Aufführungen
im Zirkus. Für einige Tage wurde die Show auch ausgesetzt,
um Dragone den Aufbau von Sets unter der Kuppel zu ermöglichen.
Wiederum über die Kostümwahl referierend, erläutert
Lemieux: "Für Giulietta wählte ich Rot als Hauptfarbe,
weil sie so voller Vitalität ist, und das Zirkus-Outfit
ihres Vaters Fleur korrespondiert natürlich mit dieser Anmutung.
Der Pantomime Frac indes erhielt klassisch helle, leicht sitzende,
fast flüssige Kostüme, die ihm viel Bewegungsspielraum
gestatten sollten."
Giuliettas fraglos elegantestes Kostüm ist dabei das "Ouvertüre"-Ensemble,
dessen schillernder Federkragen ein Vogelmotiv vorgibt, das den
ganzen Film über wiederkehrt - von den commedia-inspirierten
"Old Bird"-Charaktere des Zirkus bis zu den Tauben
bei einer Szene in Amsterdam mit René Bazinet.
Die Kostüm- und Designelemente erwiesen sich den Schauspielern
zufolge auch besonders hilfreich bei der Entwicklung ihrer Figuren.
"Mein Charakter wird zum Narren, der den Zirkus leitet;
der alles sieht und doch mit Blindheit geschlagen ist. Und ich
war verblüfft, wie diese Haltung durch das weiße Make-up
und das Kostüm zum Ausdruck gebracht wird."
Der Dreh in Berlin ist durch die Nutzung historischer Orte ergänzt
worden. Der Märchenbrunnen (Foto), zu Beginn des 19. Jahrhunderts
als Hommage an die Gebrüder Grimm gebaut, diente einer Performance-Sequenz
mit Elena Lev als Hintergrund. Die St. Elisabeth Kirche, in den
1830ern errichtet und im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt,
ist in eine dramatische "Flug"nummer mit Cirque du
Soleil-Künstler Misha Matorin eingeblendet. Und die Kalksteinminen,
nahe dem vierzig Kilometer östlich von Berlins Mitte gelegenen
Städtchen Rüdersdorf, fungierten ebenfalls als Drehort.
Über die Arbeit mit Regisseur Dragone, der im Zirkus wie
nun im Kino auf die Kraft poetischer Bilder vertraut, sagt Frank
Langella: "Er bietet Schauspielern paradiesische Gegebenheiten,
denn er ist jederzeit ansprechbar und für Ideen offen. So
entstammt vieles innerhalb meines Spiels in ALEGRíA
der Energie und Freiheit, zu der uns Franco ermutigte."
Giulietta-Darstellerin Julie Cox ergänzt: "Zu Beginn
der Produktion konnte ich gleich meine traditionellen Schauspieltechniken
über Bord schmeißen, weil uns Franco zum Experimentieren
anregte und es uns von Beginn an leicht machte, innerhalb eines
Teams zu arbeiten und sich auf die Stimmungen der Artisten und
der anderen Mimen einzulassen."
Eine entscheidende Rolle während der ALEGRíA-Produktion
kam Kameramann Pierre Mignot zu, der den visuellen Brückenschlag
zwischen Bühnenfassung und Film schaffte und die Show zu
diesem Zwecke fünfzehn Mal studierte. "Franco erzählt
ein Märchen', merkt er an, "das ich wie für die
Buhne illuminiert habe. Und weil die Geschichte in einer verzerrten
Realität angesiedelt ist, war uns sogar daran gelegen, einige
Scheinwerfer und Kameras in manchen Einstellungen zu zeigen und
so die Grenze zwischen Bühne und Publikum aufzuweichen.
Auch Langella zeigt sich beeindruckt davon, daß eine Arbeit
von der Güte ALEGRíA
in der Zeit von High-tech-Produktionen
noch möglich ist.
"Es ist erfrischend", sagt er, "in einer Ära
von Computer-Effekten noch die Schönheit von Illusionen
und einen Hauch Wahrheit inmitten zunehmender Künstlichkeit
zu finden. Denn zuviel sogenannte `movie magic' ist leblos und
mechanisch. Während wir von Technologie umrundet sind, die
uns voneinander abgrenzt, zeigt ALEGRíA den verbindenden
Zauber und die Aufregung, die wir etwa aus dem italienischen
Kino des magischen Realismus in den Sechzigern kennen."
René Bazinet sagt zum selben Thema: "ALEGRíA
ist wie eine imaginäre Welt aus unserer Kindheit, als wir
noch Hoffnungen und Träume hatten." Und Langella merkt
abschließend an: "Die Geschichte erweckt das Kind
in uns und stemmt sich gegen Zynismus. In einer Welt mit zuviel
Realität verdienen wir nämlich ab und an ein wenig
Hoffnung und Humanität..."
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