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Sass


Interview mit Jürgen Vogel

Szene Die Gebrüder Sass, die Sie und Ben Becker verkörpern, gab es wirklich. War Ihnen als Berliner der Name ein Begriff?

Nein, ich wusste gar nichts über sie. Aber als man mir von ihnen erzählt hat, dachte ich mir spontan: Super, dass es die gegeben hat! Film ist zwar immer Fiktion, aber wenn man authentische Figuren zur Grundlage hat, dann ist die Motivation, so eine Geschichte zu erzählen, noch viel größer.

Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet, wo haben Sie recherchiert?

Ich habe Ben immer um Rat gefragt. Denn Ben ist ja so ein Streber (lacht). Er ist ein paar Mal nach Kreuzberg in so ein kleines Archiv gefahren, wo er in den Original-Dokumenten geschmökert hat. Ich selbst habe mich von Carlo Rola, der sehr viel über die beiden Typen wusste, inspirieren lassen. Besonders, da ich viel lieber jemandem zuhöre, als irgendetwas zu lesen.

Als Franz Sass ist Ben Becker das Gehirn des Brüderpaares. Konnten Sie damit leben?

Ja, sehr gut sogar. Für mich war das sehr entspannend. Aber ich fand diese beiden Rollen sowieso absolut schön, weil sie auf der einen Seite etwas ganz Eigenes besitzen, auf der anderen Seite aber trotzdem zusammen eine Einheit bilden. So ein Geschenk nimmt man gerne an. Und im Übrigen ist meine Rolle genauso interessant wie die von Ben.

Szene Hinter "Sass" vermutet man zunächst eine klassische Rififi-Geschichte, doch in Wirklichkeit ist es mehr ein Melodram.

Ja, man könnte dahinter eine Einbrecher-Story vermuten, aber dann bekommt man plötzlich das Gefühl, dass man es mit echten Menschen zu tun hat. "Sass" ist sehr figurenbezogenes Kino. Da geht es nicht nur um die Geschichte, die Banküberfälle, die Verhöre usw., sondern vor allem auch um Emotionen. Deshalb wird auch gezeigt, wie die Brüder mit ihren Eltern, ihren Frauen und ihrer Umwelt im Allgemeinen umgehen. Wir haben hier nicht nur ein Genre bedient, sondern auch Figuren mit Tiefgang entwickelt.

Bei manchen Szenen hat man das Gefühl, Rola hätte Sie mit Leones "Es war einmal in Amerika" im Hinterkopf inszeniert.

Ich glaube, er wollte einfach Kino machen. Wir erzählen im Grunde genommen eine sehr einfache Geschichte. Und die kann man mit dem amerikanischen Gangstertum, wo Prohibition und Alkohol eine riesige Rolle spielen, nicht vergleichen. Hier geht es einfach um zwei Typen, die mit einem Schweißbrenner Tresore aufmachen.

"Sass" versucht also nicht mehr zu sein als er ist. Wir haben uns nicht an amerikanischen Vorbildern orientiert. Unser Ziel war es, großes Kino zu machen. Und wenn das phasenweise an Sergio Leone erinnert, dann freue ich mich natürlich total darüber.

Szene "Sass" macht auch optisch einen hervorragenden Eindruck. Ausstattung und Kostüme haben das Budget wohl in die Höhe getrieben?

Nein, wir waren sehr sparsam. Damit meine ich, dass die Produktion sehr professionell gearbeitet hat. Denn zum Geld einsparen gehört eine unglaubliche Professionalität und darüber hinaus auch Ideen, also Kreativität. Und das haben Carlo Rola und Produzent Oliver Berben im Laufe dieser Produktion wirklich bewiesen. Wenn man unser Budget mit ähnlichen Filmen der jüngeren Vergangenheit vergleicht, dann hatten wir sehr viel weniger Geld zur Verfügung.

Wie gestaltete sich die Arbeit mit Ben Becker, mit dem Sie ja einen Großteil der Dreharbeiten gemeinsam absolvierten?

Zunächst einmal konnte ich feststellen, dass wir eine ähnliche Herangehensweise an unsere Arbeit haben. Wenn die Klappe geschlagen wird, dann versucht keiner von uns beiden, etwas darzustellen, was er nicht ist. Ben spielt vielmehr genauso wie ich mit den Bällen, die wir uns gegenseitig zuwerfen. Und dadurch entstehen sehr schöne, sehr lebendige Dinge, und die Arbeit macht irre viel Spaß.

Unhabhängig davon haben wir sehr bald gemerkt, dass wir die gleiche Art von Humor besitzen und es uns schwer fällt, uns zu normalisieren. Darunter haben unsere Kollegen, der Regisseur und auch der Produzent bestimmt manchmal sehr gelitten.

Szene Aber irgendwann muss man dann ja wieder Profi sein.

Das haben wir auch geschafft. Aber man darf nicht vergessen, dass man um die 45 Drehtage hat. Und da gibt es nun mal einen oder zwei Tage, die ein bisschen schwieriger sind. Als Schauspieler ist man ja auch von allen anderen abhängig und da finde ich es schon okay, dass man durch Lachen mal ein Team völlig aus dem Konzept bringt.

"Sass" ist auf den ersten Blick kein Projekt, für das sich Jürgen Vogel unbedingt interessieren würde.

Von außen betrachtet ist es sicherlich so, dass ich viele erfolglose deutsche Kinofilme mit Anspruch gemacht habe. Aber das war für mich nie entscheidend. Entweder mag ich eine Rolle oder ich mag sie nicht. Und bei "Sass" habe ich schon beim Lesen des Drehbuchs gemerkt, dass ich unheimlichen Bock auf diese Rolle hatte. Dieser Film kann ein großes, breites Publikum erreichen. Aber das allein ist nicht mein Ehrgeiz. Ich will die Menschen berühren, und das ist ja oft ein Widerspruch. Aber nicht in diesem Fall. Denn sonst hätte man Schauspieler wie Ben Becker oder mich nicht besetzt.

Szene Man hat im Film immer das Gefühl, dass die Brüder der Polizei haushoch überlegen sind. Entspricht dies der Realität?

Ja, sie waren damals wirklich die ersten, die mit einem Schweißbrenner eingebrochen sind und Tresore klar gemacht haben. Die Polizei ist immer davon ausgegangen, dass ein Einbruch lange dauert. Aber die Sass-Brüder haben innerhalb kürzester Zeit die Tresore leer geräumt. Und damit waren die Gesetzeshüter völlig überfordert.

Es wurden aber nicht nur Tresore vor laufender Kamera geknackt, sondern während der Drehpausen die Kanalisation als Swimming Pool missbraucht.

Das ist richtig. Wir sind durch die Kacke geschwommen. Die war natürlich aus Styropor. Mit diesen Kack-Stückchen konnte man richtig schöne Spielchen machen. Kurz gesagt: Es war sehr witzig. Oft neigt man ja bei der Arbeit dazu, schnell zu verkrampfen. Da ist es immer toll, wenn man merkt, dass man es mit Menschen mit Humor zu tun hat. Und was gibt es Schöneres als zu lachen? Damit kann man wunderbar Aggressionen abbauen und ein Gemeinschaftsgefühl entwickeln. Denn man darf eines nicht vergessen: auch Drehzeit ist Lebenszeit. Ich mache den Job seit ich 15 bin, und wenn ich da zwischendurch keine gute Zeit gehabt hätte, wäre ich jetzt krank.

Szene Sie haben während der Dreharbeiten zu "Sass" Ben Becker kennen und schätzen gelernt. Und das, obwohl Sie nicht allzu viel gemeinsam haben.

Sicherlich gehen wir unterschiedliche Wege. Mit vier Kindern verändert sich automatisch etwas in der Handhabe, wie man gebraucht wird. Da kannst du dir nicht mehr so oft eigene Freiräume rausnehmen. Ich treibe gerne Sport, habe jetzt einen Tauchschein gemacht.

Ich tue schon viele Sachen für mich, aber eher von der gesunden, produktiven Art. Und ich weiß nicht, ob es immer so gesund ist, was Ben macht. Aber es bringt ihn halt auf eine andere Art weiter. Ich will meinen Kindern auch andere Dinge vermitteln als er. Trotzdem ist mir nicht fremd, was Ben möchte oder was er erreichen will. Und wir werden uns auch wiedertreffen. Denn wir haben zwar unterschiedliche Wege, aber gleiche Ziele.


Interview mit Ben Becker

Szene Das Brüder-Paar Sass lebte wirklich in Berlin. Sind sie dort heute noch bekannt?

Nicht wirklich, nein. Wenn man nachfragt, wissen die Leute zwar, dass das irgendwelche Verbrecher waren, aber nicht, was sich genau dahinter verbirgt. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Sass' so gearbeitet haben, dass man von ihnen nicht viel weiß. Es gibt auch kaum dokumentarisches Material über die Herrschaften, weswegen sie sich sozusagen als Berliner Volksgeschichte auch nicht über Wasser halten konnten. Deshalb kennt sie auch kaum einer. Aber das wird sich jetzt wahrscheinlich ändern.

Der Film vermittelt das Gefühl, als seien die Sass' eine Art Robin Hood. Dabei tun die beiden eigentlich nichts Gutes im herkömmlichen Sinn.

Es ist zwar nicht so, dass sie von den Reichen nehmen und ihre Beute dann unter das Volk verteilen - außer einmal aus Blödsinn. Aber ich glaube, dass sie durch ihre Befreiungsschläge zu Identifikationsfiguren wurden. Dass die Leute sagten: Ja hervorragend, die sind ins Landesfinanzamt eingebrochen - die holen's da, wo's liegt.

Szene Man könnte meinen, bei "Sass" handle es sich um eine reine Gauner-Geschichte. Aber dann überrascht der Film immer wieder mit melodramatischen, ruhigen Momenten, die geradezu an Sergio Leones "Es war einmal in Amerika" erinnern.

Davon hat er natürlich auch etwas. Ich glaube, das ist auch irgendwo beabsichtigt. Carlo Rola liebt großes Kino und hat davon bestimmt auch gelernt. So ist "Sass" ein richtiges Epos geworden, zu dem neben Tempo auch ruhige Momente gehören. Ich finde das auch ganz angenehm. Gerade, was meine Figur angeht. Die braucht auch mal eine gewisse Ruhe oder Ausgeglichenheit. Trotzdem empfinde ich den Film nie als langatmig. Als ich ihn das erste Mal sah, war ich richtig hin und weg. Ich muss sogar zugeben, dass ich damit nicht gerechnet habe.

Wirklich ein großes Kompliment.

Ja, das finde ich auch. Und ein ehrliches.

Heißt das, dass Sie nicht so ganz wussten, wohin der Film sich bewegen wird?

Das weiß man nie, wenn man sich auf Arbeit mit anderen Leuten einlässt. Es gibt Regisseure, mit denen ich schon oft gearbeitet habe, und selbst da kann man sich nicht sicher sein. Ich bin grundsätzlich ein wenig skeptisch. Auch während der Arbeit. Obwohl ich mich nicht wirklich einmische, weil ich ja konstruktiv arbeiten und nicht nerven will. Aber ein Bild kann man sich erst machen, wenn man den gesamten Film sieht. Ich bin ja nur ein Bestandteil davon und weiß nicht, was noch für andere Sachen dazukommen. Und ob mir das gefällt und ich damit wirklich etwas anfangen kann, zeigt sich erst hinterher.

Zu "Sass" muss ich sagen: Es ist ein großer Film für ein großes Publikum, den ich vollkommen gelungen finde. Mir hat es großen Spaß gemacht, den zu gucken. Ich fand ihn spannend, sehr schön fotografiert, konnte oft lachen und am Schluss auch weinen.

Szene Auch wenn im Prinzip klar ist, was am Ende geschehen muss?

Logisch. Man will es trotzdem nicht wahr haben und ist traurig. Das ist die Illusion von Film.

Wie schwierig war die Sterbe-Szene?

Nicht unbedingt einfach, weil es natürlich eine Gratwanderung ist, sie glaubhaft, aber auch nicht zu übertrieben zu realisieren. Ob das allerdings für die Darsteller schwieriger ist als eine andere Szene, weiß ich nicht. Das hat etwas mit Schauspielerei und Sensibilität zu tun. Natürlich spielt auch der technische Bewegungsablauf eine Rolle. Ganz besonders, wenn man eine alte Steintreppe runterfällt. Natürlich waren wir gepolstert. Aber trotzdem muss man genau ausprobieren, ob man sich wirklich fallen lassen kann, wie weit die Schutzpolster das aushalten. Wann kommt die Grenze, wo es weh tut? Ab wann haut man sich das Schienbein auf? Schließlich musst du ja am nächsten Tag weiterarbeiten. Aber das Technische läuft dann doch eher unterschwellig ab. Das Wichtigste ist immer, dass Emotion und Ausdruck stimmen.

Nun ist Ben Becker nicht unbedingt ein Schauspieler, der sich für eine Rolle entscheidet, nur weil er ein großes Publikum haben will.

Nein.

Was gab dann den Ausschlag für Ihre Zusage zu "Sass"?

Das ist ganz einfach. Es macht hin und wieder einfach Spaß, einen großen Film zu machen. Diese kleineren Sachen, auch für ein kleineres Publikum, mache ich ja sowieso nebenher. Da habe ich ab und an auch mal Lust, ein großes Bad zu nehmen.

In diesem speziellen Fall handelt es sich um einen großen Abenteuerspielplatz und damit auch um eine große Herausforderung. Außerdem: Wenn man sich hier in Deutschland in der Top-Liga bewegen will, dann muss man bei solchen Filmen auch vorkommen. Und ich bin ja unter anderem deswegen Schauspieler geworden, weil ich meinen Namen da oben mal ganz dick in fetten Lettern sehen will. Etwas anderes zu behaupten, wäre gelogen.

Haben Sie ein besonderes Faible für die zwanziger, die dreißiger Jahre? Oder ist es Zufall, dass Sie bereits mehrere Filme in dieser Zeit - wie etwa "Comedian Harmonists" oder "Gloomy Sunday" - drehten?

Es macht natürlich schon Spaß, sich zu verkleiden und sich irgendwie auf eine andere Zeit zu "beamen". Wobei ich sagen muss, dass ich in dieser Epoche, also von 1916 bis zur Nazi-Zeit, mittlerweile wirklich ziemlich viel gemacht habe. Und langsam würde ich das Kostüm auch mal wechseln wollen. Aber ich scheine irgendetwas an mir zu haben, eine Präsenz oder Wahrhaftigkeit, die man mir wohl auch in den zwanziger Jahren abnimmt.

Ihr Stiefvater Otto Sander spielt den Vater von Franz und Erich Sass. Auch Zufall?

Otto war dafür einfach eine gute Besetzung. Und ich kann nur sagen, dass es immer wieder eine große Freude ist, mit ihm zusammen am Set zu stehen, weil ich mich mit ihm so wahnsinnig gut austauschen kann wie mit wenigen Menschen. Aber natürlich ist die Begegnung zwischen Otto und mir vor der Kamera immer auch eine merkwürdige, weil man sich so gut kennt, dass man sich unheimlich genau in die Karten gucken kann. Wenn man sich dann gegenüber steht und behauptet, etwas anderes zu sein, ist das schon sehr eigenartig. Zumal ich vor ihm großen Respekt als Schauspieler habe.

Besteht dann eher ein Lehrer-Schüler-Verhältnis oder ein ebenbürtiges?

Eher ein ebenbürtiges oder auch ein sehr freundschaftliches. Wobei ich natürlich von Otto ganz, ganz viel gelernt habe. Er sagt selbst, er wäre mein größter Lehrer gewesen. Dabei sind wir grundverschieden. Auch in der Art und Weise wie wir den Beruf ausüben. Trotzdem habe ich von ihm wahnsinnig viel gelernt, einfach weil ich ihm ein Leben lang zugucken durfte. Ich beobachte ihn schließlich auf der Bühne, seitdem ich fünf Jahre alt bin.

Wochenlang mimte Jürgen Vogel am Set Ihren Bruder Erich Sass. Ging es in den Drehpausen mit der Verbrüderung weiter?

Na ja, man ist und bleibt natürlich Kollege. Aber trotzdem ist es so, dass das irgendwo verschwimmt. Wir haben uns zwar vorher schon sehr geschätzt und respektiert, aber wir waren in dem Maße keine Freunde. Wir kannten uns eben und haben uns gegrüßt, wenn wir uns in der Berliner Szene trafen. Aber was bei so einer Arbeit entsteht, wenn man die Offenheit hat, jemanden kennenzulernen und zu respektieren, ist doch etwas ganz anderes. Eine große Verbundenheit und auch ein Gefühl von Liebe. Ich fand das auch im Film wunderbar, wie sich dieses Brüderverhältnis hergestellt hat, obwohl wir uns nun wirklich nicht sehr ähnlich sehen. Man merkte - ohne es irgendwie überkandidelt darstellen zu müssen - allein wenn wir nebeneinander standen, dass da eine Geschichte zwischen uns beiden ist. Und diese Geschichte ist irgendwo Realität geworden.

Allzu viel Parallelen zwischen Becker und Vogel lassen sich allerdings auch bei näherer Betrachtung nicht unbedingt feststellen ...

Da ist was dran. Jürgen ist ein ganz ausgeschlafener Junge, den ich sehr schätze, obwohl wir zwei vollkommen unterschiedliche Menschen sind. Er hat ganz andere Interessen als ich und macht auch ganz andere Sachen. Er hat eine Sportler-Karriere eingeschlagen und vier Kinder zu Hause.

Ich dagegen habe eine Kleine und bin nach wie vor irgendwie ein wahnsinniger Workoholic, der meint, Kleinkunst und Kunst machen zu müssen. Ich bin überhaupt jemand, der noch tobt und Jürgen tobt dann halt nur noch in seinen Karatekursen. Aber das ist vollkommen in Ordnung.

Wir sind uns trotzdem ähnlicher als man denkt. Wenn er ein ernsthaftes Statement abgibt, merke ich, dass wir uns kopfmäßig unheimlich nahe sind, uns unheimlich treffen. Insofern ist dieses Gefühl von brüderlicher Liebe, sage ich jetzt mal, immer noch da. Wenn er nur den Raum betritt, ist das sofort da. Das ist etwas Wahnsinniges, was dieser Beruf nicht allzu oft mit sich bringt. Aber es gibt sowas.


Interview mit Regisseur Carlo Rola

Wie kamen Sie auf die Geschichte der Gebrüder Sass?

Ich glaube, ich war zwölf oder 13 Jahre alt, als mir mein Vater davon erzählte. Er hat mir die Geschichte der Meisterdiebe vor allem deshalb erzählt, weil ihn das damals sehr beeindruckt hatte. Als junger Bursche hat er bei den "Hawaii-Boys" in Berlin Banjo gespielt. Und die Band ist auch im Wintergarten aufgetreten und so haben sie die Sass gesehen, als die gerade auf dem Zenit ihrer Karriere waren. Also: bekannt, berühmt, beliebt. Die beiden sind reingekommen, die Kapelle hat einen Tusch gespielt und dann wurde applaudiert. Die wurden begrüßt wie Sportgrößen, Künstler...

Das heißt, die Szenen in Ihrem Film sind durchaus authentisch.

Man fasst es kaum, aber es war wirklich so. Die Berliner waren absolut lebensgierig zur damaligen Zeit. Die ganze Stadt war ja ein wahrer Moloch an Freude und Vergnügungssucht. Es gab jeden Abend eine Theaterpremiere, und das ohne Subventionen. Ob Kabarett oder Kleinkunst - es war jeden Tag die Hölle los. Berlin war in Deutschland die Stadt mit den meisten Telefonen, mit den meisten Autos. Leute mit Geld hatten bis zu drei Telefonanschlüsse und haben den ganzen Tag nur geredet und geredet und gemacht. Das Leben pulsierte einfach an allen Ecken und Enden.

Was gab den Ausschlag, diese Gangstergeschichte nach 30 Jahren zu verfilmen?

Ich bin immer auf der Suche nach guten Geschichten. Jeder besitzt ja auch bleibende Erinnerungen an Menschen, an Begegnungen. Gelernt habe ich das an der Frankfurter Oper, wo ich mir mein Jura-Studium als Cascadeur verdiente. Damals waren Theaterregisseure noch richtige Geschichtenerzähler, und von ihnen habe ich gelernt, hellhörig zu werden. Und wenn ich heute etwas lese, suche ich gleichzeitig immer nach guten Geschichten.

Und wann schlich sich "Sass" wieder in Ihren Kopf hinein?

Als ich dann später mehr aus Versehen beim Film landete, bin ich dieses Projekt noch mal angegangen. Nach zwei Fernsehspielen, die ich fürs ZDF drehen durfte. Wir haben sogar eine entsprechende Fassung für einen Zweiteiler erstellt, aber dann fiel die Mauer. Die Geschichte war zwar schon niedergeschrieben, aber das ZDF hatte kein Geld mehr und auch keine Lust, mir als Anfänger so einen großen Etat zu geben. Sie haben ihn dem damaligen Produzenten Bernd Burgemeister quasi weggenommen, obwohl er schon genehmigt war.

Jetzt ist aus dem Projekt sogar ein Kinofilm geworden.

Ja, das ist vor allem der Verdienst von Oliver Berben. Denn ich hatte eigentlich nicht mehr an eine Verfilmung geglaubt. Eines Tages kam Oliver ins Büro und sagte zu mir: Das ist ja eine Wahnsinns-Geschichte. Natürlich habe ich mich sehr gefreut, dass sie ihm so gut gefallen hat. Er hat das Ganze dann wiederbelebt und daraus ein Kinoprojekt gemacht, was ich zunächst gar nicht begreifen konnte.

"Sass" ist nicht als bloße Rififi-Geschichte, sondern mehr als episch breites Melodram inszeniert.

Ich komme ja vom Schauspiel, vom Theater. Deshalb sind mir diese "inneren" Geschichten sehr wichtig. Ich finde, dass die Geschichte ausreichend Momente hat, um Menschen zeigen zu können, wie man sie sich in den Zwanzigern vorzustellen hat und die sich mit ihren Konflikten, mit ihren Sehnsüchten auch auf heute sehr leicht übertragen lassen.

Zudem fällt auf, dass sehr viel Wert auf Ausstattung und Kostüme gelegt wurde.

Heute lässt Sie ja niemand in seine Wohnung, wenn er erfährt, dass da ein Loch in die Decke gehauen werden muss, damit man unten weiterdrehen kann (lacht). Wir mussten natürlich viel nachbauen, was sehr aufwendig war. Wir haben auch deshalb sehr viel investiert, um die zwanziger Jahre wieder zu beleben, weil jeder kleine Fehler das Publikum von der eigentlichen Geschichte ablenken würde. Deswegen musste alles perfekt sein.

In bestimmten Szenen in "Sass" wird man das Gefühl nicht los, dass hier ein Regisseur am Werke war, der das amerikanische Kino liebt.

Es ist sicherlich richtig, dass ich das amerikanische Kino schätze, Martin Scorsese, Ridley Scott etc.. Aber ich habe mich nicht davon inspirieren lassen. Wir haben lediglich gewisse dramaturgische Mittel angewandt.

Und wenn ich überhaupt ein Vorbild habe, dann ist das Fritz Lang. Gerade die kammerspielartigen Filme, die er gemacht hat, wie "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" zum Beispiel. Aber auch hinter gigantischen Geschichten wie "Die Nibelungen" oder "Metropolis" können sich die Amerikaner noch heute verstecken. Auch wir besitzen diese Kultur.

Nur heißt es bei uns immer, ach, das ist ja ein deutscher Film. Ich würde mir wünschen, dass man sich hierzulande einmal eine neue Wertmaßgabe aneignet. Ein Film aus Deutschland z. B. klingt doch schon viel weniger vorverurteilend.

Man sagt, die Gebrüder Sass wären ihrer Zeit weit voraus gewesen. So waren sie etwa die ersten, die einen Schweißbrenner bei der "Arbeit" benutzt haben.

Das ist wahr. Sie haben die erste - das kann man heute gar nicht mehr so einfach sagen (schmunzelt) - sie haben tatsächlich die erste warme Arbeit gemacht (lacht). Sie waren schon sehr innovativ, haben an Rohbauten manipuliert, wenn sie wussten, dass eine Bank hineinkommt. Die Sass haben sogar mal versucht, während der Eröffnungsfeier eine Bank auszurauben. Das ist aber gescheitert.

Jürgen Vogel hat übrigens sehr von der Zusammenarbeit mit Ihnen geschwärmt.

Das glaube ich gerne. Ich habe ihm schließlich 20 Mark gegeben dafür (lacht).

Dann kann er den Kindern wenigstens mal ein Eis kaufen.

So isses, ohne vorher einzubrechen !

Aber Spaß beiseite. Sie kannten Vogel bereits von einer "Rosa Roth"-Folge.

Das stimmt. Aber Schauspieler beschweren sich eigentlich selten über mich. Ich bin zwar sogar ziemlich streng, aber ich passe auch auf die Begabung der Darsteller auf. Ich nehme mir immer fest vor, sie richtig auszudrücken wie eine Zitrone. Das liegt dem einen mehr, dem anderen weniger.

Ben Becker und Jürgen Vogel scheint es nicht geschadet zu haben. Sie haben wohl während des Drehs auch viel Blödsinn gemacht.

Wir haben oft viel Spaß gehabt. Zum Beispiel bei Szenen, die wir nochmals technisch machten, haben die beiden so ein bisschen auf homosexuell gespielt .

Dafür haben wir manchmal auch - zum Beispiel bei Computerschüssen im Wintergarten - fast 18 Stunden am Stück nur gedreht. Das ist einfach beinhartes und diszipliniertes Arbeiten. Wir haben viel gelacht, aber auch hart geschuftet.

Sie kooperieren immer wieder mit den selben Personen. Genießen Sie dieses familiäre Arbeiten?

Es gibt Stabmitarbeiter, Crewmitglieder, mit denen arbeite ich schon seit über 15 Jahren zusammen. Aber als familiär würde ich das nicht bezeichnen. Wenn dem so wäre, wären wir schon längst baden gegangen. Beruf und Freundschaft sind strikt getrennt. Mit Iris Berben habe ich beispielsweise in 13 Jahren 28 Filme gedreht. Und das hat nur so gut funktioniert, weil ich mit der größtmöglichen Distanz an den Schauspieler, an die Figur herangegangen bin. Und das gilt nicht nur für Frau Berben.

Ihr nächstes grosses Projekt wird auch ein historischer Stoff sein.

Ja, es ist eine Adaption des "Götz von Berlichingen"-Stoffes geplant als Zweiteiler fürs Fernsehen. Wenn man den alten Goethe noch gelesen hat, dann weiß man, dass sich dahinter eine super-sexy, super-spannende, deutsche Geschichte versteckt.

Und wenn die Sass-Brüder für mich ein Pendant zu Al Capone sind, dann kommt "Götz" fast wie eine "Indiana Jones"-Geschichte daher. So ein Rauf- und Saufbold, der aus Versehen in die Politik kommt und dort dann einiges ins Rollen bringt, in Richtung Wahrheit und Gerechtigkeit.


Interview mit Produzent Oliver Berben

Die "Sass"-Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit. Wie sehr haben Sie sich an die historischen Ereignisse gehalten?

Eigentlich wurde "Sass" eher nach Motiven einer wahren Begebenheit gedreht. Die Brüder selbst und die Figuren um sie herum - bis auf die Frauen - gab es wirklich. Aber die Handlung entspricht nicht genau der Wirklichkeit. Das liegt zum einen daran, dass eine ganze Menge über die beiden einfach nicht bekannt ist, weil sie einen Großteil ihrer Lebenszeit nicht in Deutschland sondern in Dänemark verbracht haben und es keine Unterlagen aus der Zeit gibt. Zum anderen müssen sie natürlich die "Gesetze des Films" befolgen, die einfach eine gewisse Komprimierung der Geschichte verlangen.

Und natürlich muss auch die Dramaturgie stimmen.

Genau. Wir haben sehr viel Wert darauf gelegt, die wichtigsten Abschnitte aus dem Leben der Brüder Sass so zu erzählen, dass sie den Kinobesucher fesseln. Als wir mit der Recherche begannen, hatten wir stapelweise Akten von den Polizeiregistern zur Verfügung. Diese Lebensgeschichte gibt irrsinnig viel Stoff her. Aber natürlich kann man nicht alles verwenden. Der Film ist "nach Motiven aus dem Leben der Brüder Sass" entstanden.

Wie kamen Sie überhaupt auf diese Geschichte?

Carlo Rola hat sie mir einmal erzählt. Er wusste von den Brüdern über seinen Vater, der die beiden noch persönlich kennengelernt hatte. Er hat damals im Berliner "Wintergarten" gearbeitet und immer mitbekommen, wenn die Gebrüder Sass hereinkamen und alle Leute aufgestanden sind, um ihnen zu applaudieren.

Haben die Berliner sie wirklich so verehrt?

Ja. Deswegen sind sie auch von den Nationalsozialisten wegen Volksverhetzung verurteilt worden, da sie ihnen sonst nichts nachweisen konnten. Die Brüder waren junge Helden, sie zählten zur High Society und waren bei den Leuten beliebt, weil sie noch genauso waren wie sie, und das hat sich bis zum Schluss nie geändert.

Carlo Rola und Sie sind vor allem durch Ihre gemeinsame Arbeit fürs Fernsehen bekannt. Man denke nur an "Rosa Roth". "Sass" markiert nun ihr erstes und zugleich auch recht aufwändiges Kinoprojekt. Bekommt man da weiche Knie?

Schon. Aber es ist jetzt nicht so, dass man unbedingt Angst hat. Man ist nur wahnsinnig aufgeregt. Schließlich kommt es nicht darauf an, für welches Medium man arbeitet, sondern darauf, eine gute Geschichte zu erzählen.

Gibt es gravierende Unterschiede zwischen Fernsehen und Kino?

Im Fernsehen gibt es zwar genauso gute Stories wie im Kino. Aber natürlich ist das Erlebnis ein völlig anderes. Dagegen ist der Moment, den man im Fernsehen hat, ein einmaliger. Nämlich der Zeitpunkt der Ausstrahlung. Da muss man nur einen dummen Tag erwischen, an dem es 30 Grad draußen hat und schon hat man verloren. Diese Gefahr gibt es im Kino in der Form nicht. Da läuft der Film zumindest ein paar Tage. Ich wollte im Kinobereich nicht mit irgendeinem Projekt einsteigen. Und vor "Sass" hatte mich bisher kein Stoff wirklich gereizt.

Vielleicht liegt das ja auch daran, dass historische Stoffe geradezu nach der großen Leinwand schreien, gerade, was Ausstattung und Kostüme betreffen.

Das stimmt. Aber es war von Anfang an einfach ein Herzensprojekt. Deswegen war uns auch besonders wichtig, das Geld, was der Film gekostet hat, auf die Leinwand zu bringen. Und das ist ja auch passiert. Es haben sogar viele Leute auf ihre Gagen verzichtet.

Die Ausstattung stand allerdings immer erst an zweiter Stelle. Das Wichtigste für mich war vielmehr, einen Unterhaltungsfilm im besten Sinne zu machen. Der zwar in den zwanziger Jahren spielt, sich aber genauso gut auch heute ereignen könnte. Die Leute sollten einfach Lust darauf haben, das zu sehen und dabei bestens unterhalten zu werden. Oftmals besitzen gerade historische Filme etwas Drückendes. Wir dagegen wollten modern erzählen.

Im ersten Moment könnte man annehmen, "Sass" sei eine Art "Räuberpistole". Aber stattdessen nimmt er sich sehr viel Zeit für die Figurenzeichnung sowie für melodramatische Momente.

Wir wollten auch eine gewisse Bandbreite zu zeigen. Deswegen ist "Sass" auch genremäßig so schwer einzuschätzen. Letztendlich beschreibt ihn wohl die Bezeichnung Gangster-Epos am besten. Denn auf der einen Seite handelt es sich zwar um eine Gangstergeschichte, auf der anderen Seite wird aber auch auf epische Art und Weise vom historischen Hintergrund erzählt.

Waren Sie bei den Dreharbeiten oft am Set?

Schon. Aber ich gehöre beim besten Willen nicht zu den Produzenten, die meinen, dass sie jeden Tag dort stehen müssten. Meine Arbeit muss schließlich am ersten Drehtag schon zu 80 Prozent getan sein. Was ich bis dahin noch nicht geschafft habe (lacht), wird schwierig. Außerdem ist der Regisseur derjenige, der einen Drehort organisiert und unter sich hat. In diesem Fall also Carlo Rola. Ich war jedoch lange Zeit Regieassistent und bin deswegen einfach gerne am Set.

Oliver Berben und Carlo Rola - das klingt nach einem eingespielten Team.

Mit ihm ist es einfach ein wunderbares, hochprofessionelles Arbeiten. Er hat ja auch bereits mehr als 30 Filme realisiert und weiß einfach, wie es geht.

Die Dreharbeiten zu "Sass" sind aber auch deshalb erstaunlich gut gelaufen, weil alle Beteiligten einfach gut drauf waren. Außerdem stießen wir an all unseren Drehorten auf große Unterstützung. Sowohl in Prag als auch in Berlin. Das hat mich richtig gewundert, weil gerade in Berlin momentan so viel gedreht wird, was das Arbeiten dort im Allgemeinen recht schwierig gestaltet. Was aber tatsächlich am unglaublichsten war, waren Jürgen und Ben. Wo immer die beiden aufgetreten sind, war einfach "high life".

Haben die beiden mit ihren Scherzen den Bogen nicht manchmal überspannt?

(Lacht) Nein, überspannt nicht, aber beansprucht. Allerdings wiegt ihr Spiel allen "Ärger" wieder auf. Außerdem haben sie wirklich nur harmlose Sachen gebracht. Zum Beispiel haben sie ganze Szenen aus Gag in einer komplett anderen Art und Weise nachgespielt. Als ich dann die Muster auf den Tisch bekam, dachte ich schon im ersten Moment: Oh Gott, was haben sie jetzt schon wieder gemacht!

Aber ansonsten war es sehr angenehm, mit ihnen zu arbeiten. Ich kannte beide separat voneinander von anderen Projekten unserer Firma, hatte sie aber noch nie zusammen erlebt. Deswegen machte ich mir am Anfang schon so meine Gedanken, wie das wohl sein würde, wenn zwei so starke Persönlichkeiten aufeinanderstoßen. Und ich hätte wirklich nicht gedacht, dass es letztlich so gut funktionieren würde. Die Zwei waren am Ende ja nicht mehr auseinander zu bekommen - wie Pat und Patachon.

Gibt es ein Erlebnis während der Dreharbeiten, an das Sie sich noch besonders gut erinnern?

In Berlin ist uns einmal etwas ganz Erstaunliches passiert. Wir haben im Residenztheater eine Bordell-Szene nachgestellt, für die wir rund 200 Mädchen in knappen, einheitlichen Kostümen benötigten. Es war gerade Hochsommer und furchtbar heiß, deshalb standen sie alle auf der Straße. Es konnte ja niemand ahnen, dass die Frauen dadurch einen gigantischen Verkehrsstau auslösen würden, weil natürlich jeder anhielt und sie anstarrte.

Etwas ähnlich Amüsantes ist uns auch in Prag passiert, wo wir die Diskonto-Bank an einem Gebäude nachstellten. Als dann die Schießerei losging, standen dort auf einen Schlag zweieinhalbtausend Schaulustige, die den gesamten Verkehr zum Erliegen brachten. Schließlich wusste ja keiner, ob das jetzt echt war oder nicht, was da gerade vor sich ging. Am nächsten Tag stand dann in der Zeitung: "Deutsches Filmteam verursacht Verkehrschaos in Prag".

Letzte Frage: Glauben Sie, dass der deutsche Film gerade von uns Deutschen manchmal zu Unrecht getadelt wird?

Auf jeden Fall. Etwas Optimismus wäre generell viel angebrachter. Wenn man alles nur schlechtredet, kann letztendlich ja auch nichts wirklich gut werden. Man sollte einfach versuchen, ein bisschen optimistischer zu denken. Manchmal hat man hier in Deutschland sogar das Gefühl, dass die Leute nur darauf warten, dass etwas schief geht, anstatt darauf zu hoffen, dass es gut geht. Aber das ist wahrscheinlich eine Mentalitätsfrage.




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