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Heinrich der Säger

Interview mit dem Regisseur Klaus Gietinger

Herr Gietinger, Sie haben hier sowohl das Drehbuch geschrieben als auch Regie geführt. Was bedeutet Ihnen für Ihre filmische Arbeit der Begriff 'Provinz', der ja auch eine wichtige Rolle in ihrem Film "Daheim sterben die Leut'" gespielt hat.

Ich komme aus dem Allgäu, das ist schönste Provinz, in allen Bedeutungen des Wortes "schön". Mich interessiert daher auch die Provinz. Mit der 'coolen' Großstadt beschäftigen sich so viele Kollegen - die ja zumeist auch aus der Provinz kommen - da muß ich nicht auch noch meinen Beitrag leisten.

Szene [800] [1200] Mittlerweile wohne ich zwar selbst in einer Großstadt und das sehr gern - meine Tatorte erzählen von dieser Stadt - aber fürs Kino finde ich die Provinz interessanter. Sie ist noch nicht so abgenudelt. Die Geschichten, die man darüber erzählen kann, sind anders und nicht so stromlinienförmig, wie die aus der City.

Das liegt beispielsweise auch daran, daß das Land kaputter wirkt als die Stadt. Die Fassaden wachsen nach dem Einreißen des Alten nicht so schnell nach. In der Stadt kann es jederzeit passieren, daß man an eine Stelle kommt, an der mal ein Haus gestanden hat oder ein Garten war und plötzlich ist da ein Loch und wieder ein paar Wochen später ein Haus mit Spiegelfassade.

Auf dem Land gibt es eine andere Geschwindigkeit: erst verfällt das Alte ziemlich lange und es dauert seine Zeit, bis das Loch kommt und dann braucht es noch viel länger, bis etwas Neues kommt. Manchmal kommt auch gar nichts.

Oder ein anderes Beispiel, womit wir indirekt schon beim Thema des Films sind: man gibt sich gern dem Vorurteil hin, auf dem Land sei das Leben sicherer, weil es dort nicht so viel Verkehr geben würde. Sieht man sich aber die Statistik an, dann zeigt sich, daß in den Städten pro 100 000 Einwohner bis zu zehnmal weniger Menschen totgefahren werden als auf dem Land. Die Provinz ist lebensgefährlich. Wenn das kein Stoff fürs Kino ist.

Was hat Sie dazu bewogen, ein aktuelles und brisantes Thema (Streckenstillegungen bei der Deutschen Bahn) in ein zeitlich nicht klar festzulegendes Umfeld zu verlegen?

Nun zuallererst bin ich dagegen, mit dem Zaunpfahl zu winken, deshalb überhöhe ich meine Figuren sehr gerne. Zupaß kam mir hier aber das Verlangen der Deutschen Bahn, nicht mit der Kommerzbahn im Film verwechselt zu werden. (Eigentlich ein abwegiger Gedanke, schließlich ist die Deutsche Bahn noch immer so etwas wie ein Monopolist).

Aber das Wirken von Zensur führt manchmal zu Zwängen, die einen durchaus beflügeln können. Oder wie Carlos Saura einmal sagte: "Der Zensor zwingt einen Umwege zu gehen, die die Geschichte erst zum wirklichen Leben führen."

Dadurch, daß die Bahn verlangte, die Zeit, in der Heinrich der Säger spielt, verschwimmen zu lassen, konnte ich auf die technischen Errungenschaften aus den unterschiedlichsten Zeiten bzw. Regionen zurückgreifen, wie z.B. die wunderschönen alten Draisinen oder die zum Einsatz kommenden Funkgeräte. Die Provinz wirkt so noch provinzieller und rückständiger, aber auch romantischer, vor allem dann, wenn man heutigen "High-Tech"-Standard auch auftauchen läßt.

Der Kampf des Sägers ist so nicht nur ein Kampf gegen die "Moderne", sondern ein Kampf gegen eine "falsche Moderne", die den Menschen ihre Arbeit und ihr Leben zerstört.

Kurt Grantke ist nicht bloß ein Maschinenstürmer, ein Anarchist wider Willen, sondern auch jemand, der - eher unbewußt - für mehr Gerechtigkeit und gegen den amoklaufenden Fortschritt kämpft. Dieses Thema hat mich auch schon bei "Daheim sterben die Leut'" beschäftigt. Sturköpfe, die sich nicht aus einem Bewußtseinsprozeß heraus gegen etwas wenden, sondern aus dem Bauch heraus. Weil das "Sein" sich gegen sie wendet, greifen sie es an. Das macht sie natürlich auch gefährlich und kann nach hinten losgehen. Es steckt aber auch eine große Tragik darin: Sie haben keine Chance, aber sie nutzen sie.

Zudem erlaubt diese Form der Überhöhung, teutonisches Jammerkino zu vermeiden und die Figuren skurril anzulegen. Das schafft Distanz, ohne den Genuß des Sehens zu verderben.

Man glaubt anders zu sein, als die da auf der Leinwand, lacht - und lacht eigentlich über sich selber. Oder wem sind nicht schon solche tolpatschigen Dinge passiert wie der Assistentin Braun?

Gleichzeitig wendet sich der Film nie gegen seine Figuren, sondern nimmt sie ernst. So macht z.B Braun eine Wandlung durch und diejenige, über die man sich am meisten mokiert hat, wird zum entscheidenden Zünglein an der Waage.

Bei aller Überhöhung verliert der Film seine Bodenhaftung nicht, denn der Hintergrund ist real und wird durch die Verhältnisse in den neuen Ländern noch verstärkt.

Und, es gibt keine industrielle Infrastruktur, die in ihrem Dasein so viel sichtbare Geschichte materialisiert hat, wie die Bahn: Auch heute noch gibt es Strecken mit mechanischen Formsignalen, auf denen der neueste ICE3 entlang rattert. 180 Jahre Industriegeschichte in einem. Wo sonst gibt es das noch in dieser Direktheit?

Haben Sie eigentlich eine besondere Passion für die Eisenbahn?

In dem Ort, in dem ich geboren wurde, gab es eine kleine sogenannte Nebenbahn. Diese führte durch ein Moorgebiet (allgäuerisch: "Moos") und wurde daher von den Leuten beinahe zärtlich "Moosrutscherle" genannt. Ich erinnere mich noch, wie ich als kleiner Junge mit meiner Mutter auf dieser Bahn fuhr, an den Geruch von Kohlenstaub, Leder und lackierten Holzbänken.

1965 kam dann das Aus für den Personenverkehr. Damals bin ich jeden Tag an den kleinen Bahnhof gepilgert, um die - inzwischen mit Diesel betriebene - Lok beim Rangieren mit Güterwagen zu beobachten, denn der Güterverkehr wurde fortgesetzt. Schließlich war meine kleine Stadt eine Industriestadt, in der unendlich viel Käse und Hüte hergestellt wurden. Inzwischen ist auch dieser Verkehr längst eingestellt. Zwar werden immer noch Käse und Hüte produziert, aber die werden jetzt per LKW transportiert. Auch wenn es gesamtwirtschaftlich gesehen teurer, die Umwelt schädigender und für die Menschen gefährlicher ist. Eben falscher Fortschritt.

Natürlich wollte ich mal Lokführer werden und natürlich hatte ich eine Modelleisenbahn, doch für beides verlor ich bald das Interesse. Ich sammelte Autobilder und -magazine. Mein Traum war ein Jaguar E. Als Student reichte es dann für einen Fiat, das einzige Automobil meines Lebens. Bis eine erneute "Erleuchtung" kam, mir alles zu blöd wurde, ich das Stück Blech verkaufte und seither mit der Bahn fahre. Was, wie ich finde, immer schwieriger wird. Denn die Bahn wird zerschlagen. Alles andere ist Gerede.

Ihr Film trägt den Untertiel "Das ultimative Railroadmovie". In der Verknüpfung von Film und Eisenbahn greifen Sie auf eine alte cinematographische Tradition zurück.

Der erste Film der Filmgeschichte zeigt einen Zug, wie er in den Bahnhof einfährt.

Kino und Eisenbahn haben sehr viel miteinander zu tun. Ohne Eisenbahn kein Kino. Ohne 'Railway-Travelling' keine Kinowahrnehmung. Die Eisenbahn hat das Auge für die Ankunft der Cinematographie geschult. Eine Weile erlebten dann beide zusammen die Blüte ihrer Jahre und liefen nebeneinander her. Doch das Auto hat die Eisenbahn längst verdrängt. So auch im Kino. Das Road-Movie ist angesagt, immer wieder. Man kennt die Geschichten.

Meist amüsant, manchmal langweilig, oft bekannt. Das Railroadmovie dagegen gilt es wieder zu entdecken. Denn grundsätzlich hat sich nichts geändert: Die kollektive Form des Reisens hat viel mit der kollektiven Form des Sehens zu tun. Man begibt sich gemeinsam auf die Reise und hofft was zu erleben. Nichts anderes will ich mit meinem Film. Die Leute sollen gemeinsam 'aus dem Fenster sehen' und sich unterhalten lassen. Für Großstädte und Autos aber sind andere zuständig.




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